Themendienst_2020_06

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Themendienst Arten- und Habitatschutz (Juni 2020)

1.) EU-Kommission beschließt neue EU-Biodiversitätsstrategie 2030:

Im Mai 2020 hat die EU-Kommission (KOM) die neue EU-Biodiversitätsstrategie bis 2030 vorgestellt. Mit der neuen Strategie will die KOM die Hauptursachen für den Verlust an biologischer Vielfalt in Angriff nehmen, wie etwa die nicht nachhaltige Nutzung von Land und Meer, den ungebremsten Rückgang natürlicher Ressourcen, die Umweltverschmutzung sowie invasive gebietsfremde Arten. Dabei verfolgt die KOM weitreichende Pläne für die nächsten zehn Jahre. So sollen 30 Prozent der Land- und Meeresfläche in Europa bis zum Jahr 2030 unter Schutz gestellt werden. Derzeit sind es im Rahmen des europäischen Natura 2000-Netzwerks rund 18 Prozent. Außerdem sollen mindestens 10 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wieder mit Landschaftselementen mit großer Vielfalt gestaltet werden. Weiteres Ziel der KOM sind verbindliche Regeln zum Erhalt und zur Wiederherstellung geschädigter natürlicher Flächen. Mindestens 25.000 Kilometer Flüsse sollen renaturiert werden. Zudem sollen bis 2030 drei Milliarden Bäume gepflanzt werden. Landwirte sollen künftig auf mindestens 25 Prozent der Ackerfläche in Europa Ökolandbau betreiben. Die nötigen Investitionen zur Umsetzung der Strategie beziffert die KOM auf jährlich 20 Milliarden Euro.

Weitergehende Informationen zur EU-Biodiversitätsstrategie 2030 können auf der Homepage der KOM heruntergeladen werden unter:

https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_20_884   

https://ec.europa.eu/germany/news/20200520-gruener-deal-biologische-vielfalt-und-lebensmittel_de 

https://ec.europa.eu/environment/nature/biodiversity/strategy/index_en.htm

 

2.) Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zur Beurteilung von Stickstoffeinträgen in gesetzlich geschützte Biotope (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 04.09.2019, Az.: 11 B 24.16 und v. 23.01.2020, Az.: 11 S 20.18):

Das OVG Berlin-Brandenburg hat sich in zwei Entscheidungen mit den Prüfmaßstäben für die Beurteilung von Stickstoffeinträgen in nach § 30 BNatSchG gesetzlich geschützte Biotope auseinandergesetzt. Die entscheidende Frage war hierbei, inwiefern der „Leitfaden zur Ermittlung und Bewertung von Stickstoffeinträgen der Bund/Länder AG Immissionsschutz vom 01.03.2012 („LAI-Leitfaden“) diesbezüglich zur Anwendung kommen darf. In beiden Fällen hatte die Genehmigungsbehörde auf der Grundlage des LAI-Leitfadens bei der Prüfung der Stickstoffeinträge in geschützte Biotope einen Abschneidewert von 5 kg N/ha*a zugrunde gelegt. Dieser Wert ist gemäß Kapitel 7.2 des LAI-Leitfadens als Abschneidekriterium bei der Bewertung von Stickstoffeinträgen in „empfindliche terrestrische Ökosysteme“ im Sinne des Leitfadens anzuwenden.

Diese Vorgehensweise hält das OVG Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 04.09.2019 zu einer Hähnchenmastanlage jedoch für nicht zulässig. Das OVG beanstandet zum einen die pauschale Berücksichtigung eines Abschneidekriteriums von 5 kg N/ha*a unabhängig vom biotopspezifischen, empirischen Critical Load (CL). Eine derart hohe Bagatellschwelle, noch dazu unabhängig vom jeweiligen Vegetationstyp und der Vorbelastung, finde naturschutzfachlich keine Rechtfertigung (vgl. RdNrn. 58 ff). Weiterhin schließt sich das Gericht der Argumentation der Kläger an, dass sogar die zwischenzeitlich vorliegenden Referentenentwürfe für die Neufassung der TA-Luft bereits ein geringeres Abschneidekriterium für Stickstoffbelastungen von nur 2 kg N/ha*a (Entwurf 09.09.2018) beziehungsweise 3,5 kg N/ha*a (Entwurf 07.04.2017) vorsehen. Auch die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG) zum Schutz von FFH-Gebieten, mit einem diesbezüglichen Abschneidekriterium von nur 0,3 kg N/ha*a beziehungsweise 3% des jeweiligen CL-Wertes, lasse einen Wert in Höhe von 5 kg N/ha*a nicht plausibel erscheinen. Nach Auffassung des OVG „[…] erscheint es nicht nachvollziehbar, insoweit für gesetzlich geschützte Biotope eine Irrelevanzschwelle […] in Höhe des etwa 17-fachen dieses Abschneidekriteriums zugrunde zu legen.“

Diese Auslegung greift das OVG Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 23.01.2020 zu einer Legehennenanlage nun erneut auf. In dem konkreten Fall hielt das Gericht das Ergebnis einer UVP-Vorprüfung für rechtsfehlerhaft. Durch die Anwendung des 5 kg-Abschneidekriteriums wurde eine nähere Prüfung erheblicher Umwelteinwirkungen der Anlage auf stickstoffempfindliche Biotope in unzulässiger Weise von vornherein ausgeschlossen.

Fazit: Stickstoffeinträge müssen auch im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Biotopschutz nach § 30 BNatSchG geprüft werden. Die jüngsten Entscheidungen des OVG Berlin-Brandenburg haben klargestellt, dass die Methodik des LAI-Leitfadens zur Bewertung von Stickstoffeinträgen in „empfindliche terrestrische Ökosysteme“ diesbezüglich nicht zur Anwendung kommen kann. Unklar bleibt für die Verwaltungspraxis aber weiterhin, welche Methode für die Prüfung von Stickstoffeinträgen in geschützte Biotope „die richtige“ ist.

Die Entscheidungen können in der Entscheidungsdatenbank Berlin-Brandenburg heruntergeladen werden unter:

https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/MWRE190003683

https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/MWRE190003683

 

3.) Umweltministerium NRW gibt ergänzenden Erlass zur FFH-Verträglichkeitsprüfung von versauernden Stoffeinträgen heraus:

Das Umweltministerium NRW hatte am 17.10.2019 einen Runderlass an die nachgeordneten Behörden herausgegeben, mit dem die allgemeinen Grundsätze zur FFH-Verträglichkeits-prüfung von Stickstoffeinträgen neu geregelt wurden (siehe Themendienst 10.2019). In Ergänzung hierzu hat das Ministerium mit Runderlass vom 05.06.2020 nun eine weitere Klarstellung bezüglich der FFH-Verträglichkeitsprüfung von versauernden Stoffeinträgen mit differenzierten Abschneidewerten für Säureäquivalente bei unterschiedlichen Projekttypen mit verschiedenen Arten von Säureemissionen herausgegeben.

Hinsichtlich der versauernden Stoffeinträge sind in Nordrhein-Westfalen ab sofort folgende vorhabenbezogene Abschneidewerte anzuwenden:

  1. 24 eq (N)/ha*a für nur stickstoffbürtige versauernde Stoffeinträge (z.B. durch Emissionen aus Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren bei Straßenbauprojekten oder durch Emissionen aus Tierhaltungsanlagen) bzw.
  2. 32 eq (N+S)/ha*a bei gleichzeitigen stickstoff- und schwefelbürtigen versauernden Stoffeinträgen (z.B. durch Emissionen aus Feuerungsanlagen, in denen schwefelhaltige Brennstoffe eingesetzt werden).

Der ergänzende Runderlass des Umweltministeriums NRW vom 05.06.2020 zur FFH-Verträglichkeitsprüfung von versauernden Stoffeinträgen kann hier heruntergeladen werden:

Runderlass FFH-VP von versauernden Stoffeinträgen (Ergänzung Erlass 17.10.2019) (PDF)

 

4.) Oberverwaltungsgericht Lüneburg zur Selbstbindung der Behörden an Artenschutz-Leitfaden (OVG Lüneburg, Beschluss v. 28.06.2019, Az.: 12 ME 57/19):

Im Zusammenhang mit der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung von Windenergieanlagen hat sich das OVG Lüneburg erneut mit den naturschutzfachlichen Beurteilungsspielräumen von Behörden – der sogenannten Einschätzungsprärogative –  auseinandergesetzt. In dem Verfahren stellte sich die Frage nach der Bindungswirkung des niedersächsischen Leitfadens „Umsetzung des Artenschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen“ für die Genehmigungsbehörden. Maßgeblich war für das OVG, dass der Leitfaden den niedersächsischen Genehmigungsbehörden durch den niedersächsischen Windenergieerlass innenrechtlich verbindlich vorgegeben ist. Insofern kam das OVG Lüneburg zu der Einschätzung, dass eine Selbstbindung der Genehmigungsbehörden an die durch den Leitfaden gelenkte (ggf. vorweggenommene) Verwaltungspraxis in Niedersachsen eintreten dürfte. Von dieser Selbstbindung dürfte sich eine einzelne Genehmigungsbehörde rechtmäßig nur dann lösen können, wenn dies sachlich gerechtfertigt ist.

Fazit: Das Urteil des OVG Lüneburg stärkt den Stellenwert von behördenverbindlich eingeführten Leitfäden und Vorschriften und ist somit gegebenenfalls auch für andere Bundesländer von Bedeutung.

Das Urteil kann in der Entscheidungsdatenbank Niedersachsen heruntergeladen werden unter:

http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=MWRE190002246&st=null&showdoccase=1

 

5.) Oberverwaltungsgericht Lüneburg zu vorsorglichen artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigungen (OVG Lüneburg, Urteile v. 25.10.2018, Az.: 12 LB 118/16 und v. 26.02.2020, Az. 12 LB 157/18 sowie Beschluss v. 11.05.2020, 12 LA 150/19):

Das OVG Lüneburg hat in mehreren Entscheidungen die Anforderungen an „vorsorgliche Ausnahmegenehmigungen“ im Zusammenhang mit den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten bei Windenergievorhaben konkretisiert.

In dem Urteil vom 25.10.2018 legt das OVG dar, dass eine zu Gunsten des WEA-Betriebs vorsorgliche Ausnahme nach § 45 Absatz 7 BNatSchG von dem artenschutzrechtlichen Tötungsverbot nicht hinreichend deutlich erkennen ließ, für welchen Fall sie „hilfsweise“ erteilt wurde und in welcher Größenordnung sie Tötungen zulässt. In dem konkreten Fall blieb unter anderem unklar, in welcher Größenordnung eine Tötung von Feldlerchen (hilfsweise) zugelassen werden sollte und ob die Erteilung der Ausnahmegenehmigung ergänzenden Anordnungen zu Gunsten der Feldlerche entgegenstünde. So stellte das OVG klar, dass durch eine vorsorgliche Ausnahmegenehmigung der WEA-Betrieb nicht ohne weiteres gegen alle ergänzenden Anordnungen „abgeschirmt“ werden kann, die ansonsten beim Fehlen wirksamer Vermeidungsmaßnahmen oder einer nicht vorhergesehenen Entwicklung der Population der Feldlerchen in Betracht zu ziehen wären (vgl. RdNr. 231). Diese Sichtweise bestätigt das Gericht nun in seinem Beschluss vom 11.05.2020. In diesem Verfahren ging es um WEA-Genehmigungen, für die eine unzureichende „vorsorgliche Ausnahmegenehmigung“ für die Arten Mäusebussard und Feldlerche erteilt wurde.

In dem Urteil vom 26.02.2020 ging es im Zusammenhang mit der UVP-Vorprüfung für WEA-Vorhaben um die Frage nach der Prüfung von „erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen“, die sich aus dem Artenschutzregime ergeben können. Diesbezüglich geht das OVG Lüneburg davon aus, dass ein Vorhaben, zu dessen Zulassung eine artenschutzrechtliche Ausnahme nach § 45 Absatz 7 (Satz 1 Nr. 5) BNatSchG erforderlich ist, immer auch zu „erheblichen Umweltauswirkungen“ im Sinne des UVPG führt (RdNr. 55). In der Konsequenz muss in diesen Fällen im Zuge der UVP-Vorprüfung jeweils auch die nach § 45 Absatz 7 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 Alt. 1 BNatSchG gebotene Alternativenprüfung durchgeführt werden.

Fazit: Auch eine „vorsorgliche“ Ausnahme erfordert eine umfassende Bearbeitung sowie gute inhaltliche Begründungen in den Genehmigungsverfahren.

Die Entscheidungen können in der Entscheidungsdatenbank Niedersachsen heruntergeladen werden unter:

http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=MWRE180004083&st=null&showdoccase=1

http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=MWRE200001007&st=null&showdoccase=1

http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=MWRE200001934&st=null&showdoccase=1

 

6.) Verwaltungsgericht Gießen hat EU-rechtliche Bedenken gegenüber Ausnahmegründen für Vogelarten (VG Gießen, Urteil v. 22.01.2020, Az.: 1 K 6019/18.GI):

Das VG Gießen hat sich in seinem Urteil vom 22.01.2020 mit den Möglichkeiten und Grenzen bei der Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme zugunsten des Betriebes von Windenergieanlagen (WEA) auseinandergesetzt. In dem konkreten Fall hatte die Genehmigungsbehörde für den Mäusebussard und den Wespenbussard eine Ausnahme vom Tötungsverbot gemäß § 45 Absatz 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG „aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses“ erteilt.

Das VG betrachtet die Genehmigung als rechtswidrig, da der betreffende, im BNatSchG vorgesehene Ausnahmetatbestand nicht in Bezug auf die europäischen Vogelarten anwendbar sei. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Ausnahme seien nicht gegeben, da die vorrangige Originalnorm der Vogelschutzrichtlinie (VRL) im Artikel 9 Absatz 1 keinen solchen Ausnahmetatbestand vorsehe. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) sind die in Artikel 9 Absatz 1 VRL aufgeführten Ausnahmetatbestände abschließend und eng auszulegen. Eine solche inhaltliche Anreicherung der Ausnahmevorschrift scheitert nach Auffassung des Gerichts bereits daran, dass die ursprünglich aus dem April 1979 stammende VRL im November 2009 neu kodiert wurde, wobei die Ausnahmevorschrift des Artikels 9 Absatz 1 VRL jedoch unverändert beibehalten wurde.

Die dem Genehmigungsbescheid zugrundeliegende Ausnahme lässt sich nach Auffassung des VG Gießen auch nicht auf den Ausnahmetatbestand „öffentliche Sicherheit und maßgeblich günstige Auswirkungen auf die Umwelt“ des § 45 Absatz 7 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG stützen. In Bezug auf die „maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt“ enthält Artikel 9 Absatz 1 VRL wiederum keinen derartigen Ausnahmegrund. In Bezug auf die „öffentliche Sicherheit“ legt das VG ausführlich dar, dass dieser Begriff nach der Rechtsprechung des EuGH nur geltend gemacht werden könne, wenn es um Fragen der Existenzsicherung eines Staates geht. Es sei aber nicht ernsthaft zu befürchten sei, dass es ohne die betreffenden WEA zu einem Versorgungsengpass in der Bundesrepublik Deutschland käme. Außerdem handele es sich bei einem einzelnen Windpark nicht um eine bedeutende Infrastrukturmaßnahme, die wie ein Flughafen oder eine Fernstraße für die wirtschaftliche Entwicklung eines regionalen Raumes von erheblicher Bedeutung sei.

Fazit: Das Urteil des VG Gießen dürfte die Diskussionen um die Erteilung von artenschutzrechtlichen Ausnahmen für Vogelarten sowie die allgemeinen Bedenken gegenüber „vorsorglichen Ausnahmen“ weiter befeuern. Die in manchen Bundesländern außerhalb von Nordrhein-Westfalen gängige Praxis, bei der Zulassung von Infrastrukturprojekten vorsorglich eine Ausnahme zu erteilen, sollte überdacht werden. So sind Ausnahmen für „Allerwelts“-Vogelarten überhaupt nicht erforderlich, da diese nach dem nordrhein-westfälischen Konzept der „Planungsrelevanten Arten“, in einer Artenschutzprüfung gar nicht vertiefend betrachtet werden müssen. Im Fall des Mäusebussards ist bezüglich des WEA-Betriebs ebenso keine Ausnahme erforderlich, da die Art gemäß NRW-Leitfaden „Windenergie – Arten/Habitatschutz“ gar nicht als WEA-sensibel einzustufen ist und bei WEA-Genehmigungen diesbezüglich grundsätzlich unberücksichtigt bleiben kann.

 

7.) Umweltministerkonferenz (UMK) beschließt Handlungsempfehlung zur artenschutzrechtlichen Ausnahme bei Windenergievorhaben (UMK, Beschluss vom 15.05.2020 zu TOP 4 und 6):

Angesichts der zunehmenden rechtlichen Unklarheiten bezüglich der Möglichkeiten einer artenschutzrechtlichen Ausnahmeerteilung bei Windenergievorhaben, haben einige Bundesländer gemeinsam mit dem Bund innerhalb weniger Wochen eine Handlungsempfehlung zu diesem Thema ausgearbeitet. Diese „Hinweise zu den rechtlichen und fachlichen Ausnahmevoraussetzungen nach § 45 (7) BNatSchG bei der Zulassung von Windenergievorhaben“ sind nun von der Frühjahrs-UMK beschlossen worden. Bis zum Jahr 2023 soll eine Evaluierung des Hinweis-Papiers durchgeführt werden.

In der zusammenfassenden Einführung der Vollzugshinweise stellen die Autoren des Papiers klar, dass es die vorrangige Aufgabe der Antragstellenden und der zuständigen Behörden ist, den Eintritt des Verletzungs- und Tötungsverbotes durch geeignete, fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen (Vermeidungs- und vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen) zu vermeiden. Nur wenn dies nicht gelingen sollte, wäre zu prüfen, inwiefern das Vorhaben gegebenenfalls nach Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme genehmigungsfähig ist. „Als ultima ratio darf sie aber nicht zum Regelfall werden.“

Fazit: In Nordrhein-Westfalen besteht für die von der UMK beschlossenen Handlungsempfehlung zur artenschutzrechtlichen Ausnahme bei Windenergievorhaben derzeit kein Bedarf. Es gibt in Nordrhein-Westfalen bislang keine einzige Ausnahme nach § 45 Absatz 7 BNatSchG für Windenergievorhaben. In den Genehmigungsverfahren war diesbezüglich landesweit bislang auch kein Mangel seitens der Antragstellenden festgestellt worden. Angesichts der weiterhin bestehenden rechtlichen Unsicherheiten hinsichtlich der Ausnahmeerteilung für Vogelarten, sollte die Ausnahmeregelung in der Verwaltungspraxis weiterhin besser nicht zur Anwendung kommen.

Die von der UMK am 15.05.2020 beschlossene Handlungsempfehlung zur artenschutzrechtlichen Ausnahme bei Windenergievorhaben kann hier heruntergeladen werden:

UMK (Beschluss): Hinweise Artenschutz Ausnahme Windenergie (PDF)

 

8.) Oberverwaltungsgericht Koblenz hält Abschaltung von Windenergieanlagen während des Kranichzuges für nicht geboten (OVG Koblenz, Urteil v. 31.10.2019, Az.: 1 A 11643/17):

Im Zusammenhang mit der Klage eines WEA-Betreibers hat sich das OVG Koblenz in seinem Urteil vom 31.10.2019 grundsätzlich mit der Rechtmäßigkeit eine „Abschaltauflage“ zum Schutz ziehender Kraniche auseinandergesetzt. Die Genehmigungsbehörde hatte festgelegt, dass die WEA zum Schutz von Kranichen an Massenzugtagen im Frühjahr/Herbst bei gefährlichen Wetterlagen (Niederschlag, Gegenwind und/oder Nebel) abzuschalten sei. Das OVG hielt die betreffende Nebenbestimmung des Genehmigungsbescheides für rechtswidrig. Auch ohne eine derartige Auflage stehe die WEA hinsichtlich des Kranichzuges im Einklang mit dem artenschutzrechtlichen Tötungsverbot.

Aus Sicht des OVG steht fest, dass ziehende Kraniche nur einer sehr geringen Gefahr der Kollision und damit der Tötung an WEA unterliegen, so dass für den einzelnen Kranich keine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos feststellbar sei. Das Gericht weist darauf hin, dass Kraniche auf ihren Zügen über Deutschland keineswegs „unberührte Natur“ überfliegen. Vielmehr ist ihr Zugkorridor durch die Windkraft maßgeblich vorgeprägt. Die Kombination aus einer hohen Zahl regelmäßig ziehender Kraniche (das Gericht geht von 250.000 ziehenden Kranichen über Deutschland aus) und mehreren tausend WEA ohne Kranichabschaltung im Zugkorridor, ließe eigentlich eine hohe Zahl von Schlagopfern erwarten. Tatsächlich ist jedoch die Zahl der dokumentierten Schlagopfer nur sehr gering. In der Schlagopfer-Datenbank des LfU Brandenburg (Langgemach und Dürr) wurden in Deutschland seit 2003 nur 21 Schlagopfer des Kranichs an WEA gefunden, von denen nur 18 einem Zuggeschehen zuzurechnen sind. Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass selbst der Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen (DNR) dem Kranich „eine nur schwache Empfindlichkeit gegenüber den Auswirkungen von WEA“ bescheinigt.

Fazit: Das Urteil des OVG Koblenz bestätigt die Auslegung zum Kranichzug im NRW-Leitfaden „Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in NRW“. Darin wird in Kapitel 6.2 klargestellt, dass „[…] im Zuge der Sachverhaltsermittlung eine Erfassung des allgemeinen Vogelzug-Geschehens nicht erforderlich ist. Dies gilt beispielsweise für den alljährlichen Zug von Kranichen über Nordrhein-Westfalen mit 250.000 bis 300.000 Tieren pro Zugsaison. Eine Kollisionsgefährdung beziehungsweise ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko ist im Fall von ziehenden Kranichen an WEA nicht gegeben“.

Das Urteil kann im Justizportal Rheinland-Pfalz heruntergeladen werden unter:

http://www.landesrecht.rlp.de/jportal/portal/t/7qe/page/bsrlpprod.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&doc.id=MWRE190004143&doc.part=L

 

9.) NRW-Leitfaden „Artenschutz – Forstgenehmigungsverfahren“ aktualisiert:

Das Umweltministerium NRW hat mit Runderlass vom 20.05.2020 den aktualisierten NRW-Leitfaden „Artenschutz bei forstrechtlichen Genehmigungs- und Anzeigeverfahren in NRW" eingeführt. In dem Leitfaden – der erstmals im Jahr 2010 veröffentlicht worden ist – werden rechtliche, inhaltliche und methodische Aspekte sowie Verfahrensfragen und Zuständigkeiten geklärt.

Der Leitfaden „Artenschutz – Forstgenehmigungsverfahren“ kann hier heruntergeladen werden:

NRW-Leitfaden „Artenschutz – Forstgenehmigungsverfahren“ (PDF)

 

10.) EU-Kommission (KOM) leitet neues Pilotverfahren 2020/9639 zum "Umgang mit dem Wolf" ein:

Die KOM hat am 18.05.2020 ein Pilotverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet, das die Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) bezüglich der artenschutzrechtlichen Ausnahmemöglichkeiten zum Wolf zum Inhalt hat. Das BNatSchG war im Dezember 2019 um einen neuen § 45a ergänzt worden, der spezifische Regelungen zum Wolf hinsichtlich der Erteilung von Ausnahmen von den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten vorsieht. Unter anderem wurde die Entnahme von Wölfen geregelt, wenn ernste wirtschaftliche Schäden in Folge von Nutztierrissen drohen. In diesem Zusammenhang hat die KOM einen neun Punkte umfassenden Fragenkatalog an den Bund übermittelt. Die Fragen beziehen sich unter anderem auf die in der Regelung genannten „zumutbaren Herdenschutzmaßnahmen“, die Notwendigkeit einer Identifizierung des schadensverursachenden Wolfes, verwaltungstechnische Aspekte bei der Erteilung von Abschussgenehmigungen sowie die definitorische Abgrenzung der „ernsten Schäden“ von den sonst bekannten „erheblichen Schäden“.

 

11.) Ab sofort finden wieder Fortbildungen und Seminare zum Arten- und Habitatschutz in NRW statt:

 

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Dr. Ernst-Friedrich Kiel

Referatsleiter III-4 Biodiversitätsstrategie, Artenschutz, Habitatschutz, Vertragsnaturschutz

Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz NRW (MULNV)

 

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