Im oberen Hochrisikobereich: Planetare Grenze "Veränderung in der Integrität der Biosphäre"

Die erdgeschichtlich gesehen kurze Zeitspanne der letzten 12.000 Jahre brachte mit der Domestizierung von Pflanzen und Tieren sowie der Entwicklung der Landwirtschaft, der industriellen Revolution und der Bevölkerungsexplosion von etwa 2 Millionen auf 8,2 Milliarden Menschen radikale Folgen für die Umwelt. 

Symbolbild. Wiese mit Bäumen im Hintergrund. Am Horizont geht die Sonne unter. Die Wiese ist abgegrenzt durch mehrere Reihen Stacheldrahtzaun. © Albrecht Fietz / Pixabay

So sind zum Beispiel nach Greenspoon et al (2023) in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „PNAS“ die Relationen der Säugetiere zueinander völlig auf den Kopf gestellt worden: Mittlerweile macht das Gewicht (Biomasse) aller wildlebenden Landsäugetiere zusammen nur noch etwa 20 Millionen Tonnen (20 Megatonnen) aus, während die Menschheit mit etwa 390 Megatonnen das 20-fache und deren Haus- und Nutztiere mit etwa 630 Megatonnen etwa das 30-fache auf die Waage bringen. Allein unsere Haushundeliegen mit etwa 20 Megatonnen Biomasse gleichauf mit der aller wildlebenden Landsäugetiere. Die Biomasse der Hausschweine wird mit 40 Megatonnen auf das Doppelte taxiert, die für das Hausrind, die domestizierte Form des ausgerotteten eurasischen Auerochsen, auf 420 Megatonnen.

Radikale Folgen bildet auch das Konzept der Planetaren Grenzen für die „Veränderung der Integrität der Biosphäre“ ab, die es anhand der „Genetischen Vielfalt“ und der „Funktionalen Integrität“ beschreibt:

Die genetische Vielfalt ist essentiell, weil unterschiedlichste Erbinformationen dafür sorgen, dass sich Lebewesen an die immerwährenden Veränderungen auf der Erde anpassen können. Auch der Mensch verdankt ihr seine Existenz und ist auf die Leistungen einer vielfältigen Natur angewiesen, nicht zuletzt in der Land- und Forstwirtschaft sowie in der Medizin. Als Kontrollvariable für die Veränderungen an der genetischen Vielfalt dient die Artensterberate. Die Aussterberate, die mit dem Erhalt der genetischen Vielfalt für die Biosphäre als vereinbar gilt, wird mit weniger als 10 Extinktionen (Aussterben) pro eine Million Arten und Jahr veranschlagt. Insgesamt gibt es ungefähr 8 Millionen Pflanzen- und Tierarten auf der Welt. Im Holozän vor der Industrialisierung lag die Aussterberate bei etwa einer Extinktion pro eine Million Arten und Jahr. So starb etwa der letzte eurasische Auerochse im Jahr 1627. Derzeit liegen wir mit mehr als 100 Extinktionen pro eine Million Arten und Jahr über dem 10-fachen der planetaren Grenze Mehr als 10 % der genetischen Vielfalt von Pflanzen und Tieren dürfte allein in den letzten 150 Jahren für immer verloren gegangen sein. 

Gewichts- beziehungsweise Biomasseanteile verschiedener Säugetiergruppen auf der Erde © Greenspoon et al./ PNAS, CC-by-nc-nd 4.0

Gewichts- beziehungsweise Biomasseanteile verschiedener Säugetiergruppen auf der Erde

Abgebildet ist – aus lizenzrechtlichen Gründen in Englisch – , das Gesamtgewicht beziehungsweise die Biomasse der Säugetiere auf der Welt (engl. earth’s mammals by total biomass) nach Greenspoon et al. (2023) in Megatonnen (Mt). Es dominieren der Mensch (engl. humans) mit rund 390 Millionen Tonnen und seine Haus- und Nutztiere, also domestizierte (engl. domesticated) Säugetiere wie Hausrinder (engl. cattle) und Haushunde, mit rund 630 Millionen Tonnen. Wildlebende Landsäugetiere (engl. wild terrestrial  mammals) wie Hirsche und Elefanten (engl. elephants) machen zusammen nur noch etwa 20 Millionen Tonnen aus. Meeressäuger  (engl. marine mammals) wie Bartenwale (engl. baleen whales) und Robben werden auf etwa 40 Millionen Tonnen veranschlagt.

Die "funktionale Integrität" des Konzepts bildet die Funktionsfähigkeit der Biosphäre ab, das heißt, die Intaktheit aller Lebensräume sowie deren Lebensgemeinschaften aus Pflanzen und Tieren. Dafür bedient man sich des Indikators Human Appropriation of Net Primary Production  (HANPP). Er ist ein Maß für den Anteil, den sich die Menschheit von der Nettoprimärproduktion aneignet. Die Nettoprimärproduktion wiederum repräsentiert die Biomasse, die von den Pflanzen durch die Photosynthese gewonnen wird – die wichtigste Energiequelle für Mensch und Tier. Als planetare Grenze für den HANPP gelten weniger als 10 % der vorindustriellen Nettoprimärproduktion  (sodass 90 % der Nettoprimärproduktion der Biosphäre zugutekommen). Für das vorindustrielle Holozän wurde ein HANPP von etwa 1,9 % der Nettoprimärproduktion errechnet. Für die Gegenwart ist ein HANPP von 30 %  ermittelt worden, das 3-fache der planetaren Grenze. Das ist eine Folge der Übernutzung der Nettoprimärproduktion, hauptsächlich durch die Ernte in der Land- und Forstwirtschaft, für die Menschen und deren Haus- und Nutztiere.

Im Jahr 2021 schätzte das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung den Anteil Nordrhein-Westfalens an der Veränderung der Funktionsfähigkeit der Biosphäre ab. Über den Biodiversity Intactness Index kam es zu dem Schluss, dass der entsprechende Grenzwert um das 2,4-fache überschritten wurde. Import und Export wurden dabei außer Acht gelassen. So blieb beispielsweise der nordrhein-westfälische Anteil an dem Biodiversitätsverlust durch die Brandrodung von tropischem Regenwald für den Ölpalmenanbau sowie die hiesige Produktion und Konsumation von Palmölprodukten unberücksichtigt.

Bei der Veränderung der Planetaren Grenze Integrität der Biosphäre befinden wir uns demnach im oberen Hochrisikobereich – weit jenseits des sicheren Handlungsraums für die Menschheit. Das ist umso besorgniserregender, weil sie mit den anderen 5 Prozessen, bei denen die planetaren Grenzen auch überschritten sind, nämlich Klimawandel, Überladung mit neuartigen Stoffen sowie Veränderungen in den biogeochemischen Kreisläufen, den Süßwassersystemen und der Landnutzung in Wechselwirkung ist.