Themendienst_2019_06

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Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW (Juni 2019)

1.) Europäischer Gerichtshof zur Berücksichtigung charakteristischer Arten im Zuge der FFH-Verträglichkeitsprüfung (EuGH, Urteil v. 7.11.2018, Az.: C 461-17):

In dem Verfahren ging es um die Planung einer Umgehungstraße in Kilkenny (Irland), die durch zwei Natura 2000-Gebiete verläuft. Hierzu hatte sich der Hohe Gerichtshof Irlands mit mehreren Auslegungsfragen zur FFH-Richtlinie an den EuGH gewendet. In seinem Urteil beschäftigt sich der EuGH unter anderem ausführlich mit dem notwendigen Umfang einer „angemessenen“ FFH-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP). Demnach müssen bei einer FFH-VP alle Lebensraumtypen (LRT) und Arten betrachtet werden, für die ein Gebiet ausgewiesen wurde. Zu betrachten sind außerdem die Auswirkungen auf solche Arten, die im Gebiet vorkommen, für die es aber nicht ausgewiesen wurde. Für das Verständnis dieser Aussage sind die Ausführungen in den Schlussanträgen der Generalanwältin vom 7.8.2018 von Bedeutung (Rd-Nrn. 33 bis 44), aus denen hervorgeht, dass hier die „charakteristischen Arten“ der LRT gemeint sind. Weiterhin sind auch Auswirkungen auf LRT und Arten außerhalb des Gebietes zu betrachten, soweit sie die Erhaltungsziele des Gebietes beeinträchtigen können.

Im Zuge der FFH-VP ist es erforderlich, dass die zuständige Behörde sämtliche Gesichtspunkte des Plans/Projektes erfasst und prüft, die die Erhaltungsziele des Gebietes beeinträchtigen können. Im vorliegenden Fall sollte es dem Projektträger überlassen werden, bestimmte Parameter für die Bauphase (z.B. Lage des Baukomplexes, Trassenführung) erst nach der Genehmigung festzulegen. Ein solches Vorgehen ist jedoch nur dann genehmigungsfähig, wenn in der Genehmigung hinreichend strenge Bedingungen aufgestellt sind, die gewährleisten, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird.

Fazit: Das Urteil fügt sich nahtlos in die strenge Rechtsprechung des EuGH zur Durchführung der FFH-VP ein. Für die Verwaltungspraxis in Nordrhein-Westfalen dürften sich hinsichtlich der zu betrachtenden LRT und Arten kaum Änderungen ergeben: In den Meldedokumenten zu den Natura 2000-Gebieten werden ohnehin alle signifikanten Vorkommen gemeldet und gegebenenfalls aktualisiert. Bezüglich der „Charakteristischen Arten“ kommt der entsprechende NRW-Leitfaden „Charakteristische Arten der FFH-Lebensraumtypen“ (Dezember 2016) zur Anwendung.

Das Urteil und die Schlussanträge der Generalanwältin können auf der InfoCuria-Seite zur Rechtsprechung des EuGH heruntergeladen werden unter:

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=204755&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7939496

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=207428&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7939496

 

2.) Bundesverwaltungsgericht revidiert Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster zum Steinkohlekraftwerk in Lünen (BVerwG, Urteil v. 15.05.2019, Az.: 7 C 27.17):

Im Zusammenhang mit dem Revisionsverfahren zum Steinkohlekraftwerk in Lünen hat das BVerwG ein Urteil des Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW aus dem Jahr 2016 aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das OVG NRW zurückverwiesen. Das schriftliche Urteil liegt noch nicht vor. In der kurzen mündlichen Urteilsbegründung hat der Senat mehrere relevante Punkte zur FFH-Verträglichkeitsprüfung von Stickstoffeinträgen klargestellt:

1. Bei der erneuten Entscheidung hat das OVG NRW insbesondere den vorhabenbezogenen Abschneidewert für Stickstoffeinträge in Höhe von 0,3 kg N/ha*a als naturwissenschaftlich gesicherten Wert zugrunde zu legen. (Anm.: In NRW galt bislang ein strengerer Abschneidewert in Höhe von 0,1 kg N/ha*a.)

2. Im Rahmen der Summationsbetrachtung sind grundsätzlich alle weiteren Projekte zu berücksichtigen, für die bereits eine Genehmigung erteilt worden ist. (Anm.: In NRW wurde bislang auf den Zeitpunkt des Einreichens prüffähiger Antragsunterlagen abgestellt.)

3. Bei der Summationsbetrachtung in Bezug auf die Bagatellschwelle in Höhe von 3 % des Critical Loads sei nicht stets bis auf den Zeitpunkt der Aufnahme des betreffenden FFH-Gebietes in die Gemeinschaftsliste (Dezember 2004) zurückzugehen.

Sobald die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen, wird das Umweltministerium NRW nach eingehender rechtlicher und fachlicher Prüfung auf dem Erlasswege alles Notwendige veranlassen.

Die Pressemitteilung des BVerwG kann unter folgendem Link aufgerufen werden:

https://www.bverwg.de/pm/2019/38

 

3.) Erweitertes Mahnschreiben der EU-Kommission (KOM) zum EU-Vertragsverletzungsverfahren (VVV) 2262/2014 zur Umsetzung der FFH-Richtlinie in Deutschland:

Im Zusammenhang mit dem seit Februar 2015 laufenden VVV 2262/2014 zur Umsetzung der FFH-Richtlinie in Deutschland hat die KOM im Januar 2019 ein erweitertes Mahnschreiben an die Bundesrepublik Deutschland versendet. Darin kritisiert die KOM, dass die nationale Sicherung der FFH-Gebiete in Deutschland, die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen, die Benennung von Erhaltungszielen sowie die Veröffentlichung von Maßnahmenplänen und Bewirtschaftungskonzepten bei weitem nicht ausreichend sei. Bislang standen nur die rechtliche Sicherung und die Erhaltungsmaßnahmen im Fokus des VVV. Die komplette, sehr umfassende Antwort der Bundesregierung ist in zwei Teilen am 26.4.2019 und 11.6.2019 an die KOM übermittelt worden. Sollten die sehr ausführlichen fachlichen und rechtlichen Einlassungen Deutschlands die KOM weiterhin nicht überzeugen, könnte die KOM in einem nächsten Schritt eine „mit Gründen versehene Stellungnahme“ auf den Weg bringen. Als finaler Schritt stände eine Klageerhebung gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Raum.

Die Auszüge des nordrhein-westfälischen Beitrags der deutschen Stellungnahme an die KOM kann hier heruntergeladen werden:

Download als PDF-Dokument

 

4.) EU-Kommission (KOM) kündigt neues EU-Vertragsverletzungsverfahren zu den „Mähwiesen“ an:

Die KOM hat am 20.05.2019 das EU-Pilotverfahren EUP(2018)9300 „Mähwiesen“ abgeschlossen und die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens (VVV) gegen die Bundesrepublik Deutschland in der Angelegenheit angekündigt. Bei dem seit Mai 2018 laufenden Pilotverfahren ging es um die unzureichende Umsetzung der FFH-Richtlinie in Deutschland hinsichtlich der Verschlechterung des Erhaltungszustandes der FFH-Lebensraumtypen (LRT) "Flachland-Mähwiesen" (LRT 6510) und "Berg-Mähwiesen" (LRT 6520). Im Fokus des Verfahrens standen die landwirtschaftliche Bewirtschaftungspraxis von Mähwiesen und die Umsetzung von Erhaltungsmaßnahmen für die beiden LRT. Offensichtlich war die KOM mit den Antworten der Bundesregierung nicht zufrieden und sieht die von ihr im Verfahren dargelegten Verstöße als nicht behoben an.

 

5.) Neuer Leitfaden der Bund/Länderarbeitsgemeinschaften Immissionsschutz (LAI) und Naturschutz (LANA) zur FFH-Verträglichkeitsprüfung von Stickstoffeinträgen für BImSch-Anlagen:

Nach einem über sechsjährigen (!) Erarbeitungsprozess haben LAI und LANA am 19.02.2019 einen Leitfaden zur FFH-Verträglichkeitsprüfung von Stickstoffeinträgen für Anlagen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz („Stickstoffleitfaden BImSchG-Anlagen“) fertiggestellt. Den Leitfaden hat die Umweltministerkonferenz (UMK) im Mai 2019 per Umlaufbeschluss zur Kenntnis genommen und der Veröffentlichung auf den jeweiligen Internetseiten von LAI und LANA zugestimmt. Inhaltlich basiert der Leitfaden auf einem parallel dazu veröffentlichten Papier für Straßenbau-Vorhaben (siehe unten). Hinsichtlich des so genannten „Abschneidewertes“ legt der Leitfaden eine vorhabenbedingte Zusatzbelastung von 0,3 kg N/ha*a zugrunde. Unterschreitet der Stickstoffeintrag des beantragten Vorhabens das absolute Abschneidekriterium, ist das Vorhaben insoweit unproblematisch und genehmigungsfähig.

Der Leitfaden kann auf der LANA-Homepage heruntergeladen werden unter:

https://www.la-na.de/documents/stickstoffleitfaden-bimschg-anlagen-19-02-19_1557517123.pdf

 

6.) Neuer Leitfaden der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) zur FFH-Verträglichkeitsprüfung von Stickstoffeinträgen von Straßen:

Parallel zum zuvor genannten „Stickstoffleitfaden BImSchG-Anlagen“ sind im Mai 2019 für Straßenbauvorhaben die „Hinweise zur Prüfung von Stickstoffeinträgen bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung von Straßen – Stickstoffleitfaden Straße (H PSE)“ veröffentlicht worden. Fachliche Grundlage der H PSE ist der Forschungsbericht „Untersuchung und Bewertung von straßenverkehrsbedingten Nährstoffeinträgen in empfindliche Biotope“ des Bundesverkehrsministeriums aus dem Jahr 2013, der auch als „BASt-Leitfaden“ bekannt geworden ist.

Der Leitfaden kann auf der Internetseite des FGSV-Verlages unter dem folgenden Link kostenpflichtig erworben werden:

https://www.fgsv-verlag.de/h-pse-fgsv-reader

 

7.) Neue Praxisempfehlungen des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) zu Grünbrücken, Faunatunneln und Tierdurchlässen (BfN-Skripten 522):

Der Bau von Querungshilfen (Grünbrücken, Faunabrücken und Tierunterführungen) gehört seit einigen Jahren zum Maßnahmeninventar des Straßenbaus zur Vermeidung übermäßiger Lebensraumzerschneidung. Auf der Grundlage aktueller Untersuchungsergebnisse sowie einer Literaturanalyse gibt das BfN konkrete Handlungsempfehlungen für die Konzeption und das Management von Querungshilfen. Die Empfehlungen werden anhand von Planungsleitsätzen, konkreten Gestaltungsbeispielen, Hinweisen zur Vermeidung von Fehlerquellen sowie Ausführungen zur Oberflächen- und Umfeldgestaltung und zur Hinterlandanbindung anschaulich dargestellt und mit knappen Erläuterungen versehen.

Die Arbeitshilfe kann auf der Homepage des BfN heruntergeladen werden unter:

https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/service/Dokumente/skripten/Skript522.pdf

 

8.) Bericht an den Landtag zur „Gefährdung von Insekten durch Windenergieanlagen“:

Das Umweltministerium NRW hat am 7.5.2019 einen Bericht der Landesregierung „Gefährdung von Insekten durch Windenergieanlagen“ an den nordrhein-westfälischen Landtag übermittelt (Vorlage 17/2037). Auslöser für den Bericht war eine umstrittene Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) vom Oktober 2018, nach der ein Zusammenhang zwischen dem Rückgang von Fluginsekten und dem Betrieb von Windenergieanlagen bestehen solle. In dem Bericht an den Landtag legt die Landesregierung ausführlich dar, dass vor dem Hintergrund des bisherigen Wissensstandes zum Insektenrückgang kein ursächlicher Zusammenhang mit der Windenergienutzung besteht.

Der Bericht kann im Dokumentenarchiv des Landtags NRW heruntergeladen werden unter:

https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV17-2037.pdf

 

9.) Aktuelle Fortbildungen und Seminare zum Arten- und Habitatschutz in NRW:

 

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Dr. Ernst-Friedrich Kiel

Referatsleiter III-4 Biodiversitätsstrategie, Artenschutz, Habitatschutz, Vertragsnaturschutz

Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz NRW (MULNV)

 

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