Vogeschutzgebiet Niederrhein. Wildgänse auf einer Wiese, im Hintergrund der Rhein und ein Kraftwerk © E. F. Kiel / MUNV NRW

Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW

Ausgabe: Oktober 2019

Der Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW wird erstellt und veröffentlicht von:

Dr. Ernst-Friedrich Kiel
Referatsleiter  III-3 | Natura 2000, Verträglichkeitsprüfungen, Energiewende
Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen

 

Im Zusammenhang mit dem Revisionsverfahren zum Steinkohlekraftwerk in Lünen liegen seit Anfang September 2019 die schriftlichen Urteilsgründe vor. Das BVerwG hat in seinem Urteil die vom Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster in den letzten Jahren entwickelten Grundsätze zur FFH-Verträglichkeitsprüfung von Stickstoffeinträgen in mehreren zentralen Punkten „einkassiert“:

  1. Im Rahmen der Summationsprüfung sind grundsätzlich nur diejenigen anderen Projekte und Pläne zu berücksichtigen, für die bereits eine Zulassungsentscheidung (Genehmigung) erteilt worden ist. Nicht maßgeblich ist dagegen der Zeitpunkt des Einreichens prüffähiger Antragsunterlagen.
  2. Der vorhabenbezogenen Abschneidewert für eutrophierende Stickstoffeinträge in Höhe von 0,3 kg N/ha*a ist als naturwissenschaftlich gesicherter Wert maßgeblich. Der Abschneidedewert bedarf auch im Hinblick auf Summationswirkungen mehrerer Vorhaben keiner Korrektur (nach unten).
  3. Die Summationsprüfung in Bezug auf die Bagatellschwelle i.H.v. 3 % des Critical Loads ist in der Regel nicht bis auf den Zeitpunkt der Unterschutzstellung der FFH-Gebiete im Dezember 2004 rück zu beziehen.

Im Ergebnis bestätigt das BVerwG die bundesweit mittlerweile etablierte Methodik für die FFH-Verträglichkeitsprüfung von Stickstoffeinträgen, wie sie im so genannten „BASt-Leitfaden“ entwickelt geworden ist (Balla et al., "Untersuchung und Bewertung von straßenverkehrsbedingten Nährstoffeinträgen in empfindliche Biotope", Bericht zum FE-Vorhaben 84.0102/2009 der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik Bd. 1099, November 2013).

Erfreulicherweise setzt sich das BVerwG in seiner Urteilsbegründung auch mit dem strengen Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 07.11.2018 (Az.: C 293-17) zum niederländischen Ansatz der Stickstoffprüfung auseinander (siehe Themendienst 03.2019). Diesbezüglich liefert das BVerwG eine ausführliche Begründung für die Vereinbarkeit des Abschneidekriteriums von 0,3 kg N/ha*a mit den unionsrechtlichen Anforderungen, die sich aus Artikel 6 Absatz 3 FFH-RL ergeben (Randnummer 40 f). Auf diese Weise nimmt das BVerwG allen potenziellen Kritikern direkt den „Wind aus den Segeln“.

Fazit: In dem Urteil finden sich zahlreiche Ausführungen und Klarstellungen, die weitreichende Konsequenzen für die Durchführung der FFH-Verträglichkeitsprüfung von Stickstoffeinträgen haben werden.

Das BVerwG-Urteil zum Steinkohlekraftwerk in Lünen (BVerwG v. 15.05.2019, Az.: 7 C 27.17) macht eine grundlegende Änderung der Verwaltungspraxis in Nordrhein-Westfalen erforderlich. Aus diesem Grund hat das Umweltministerium NRW die bisherige Erlasslage zur FFH-Verträglichkeitsprüfung von Stickstoffeinträgen mit Runderlass vom 17.10.2019 geändert. In dem Runderlass folgt das Umweltministerium NRW den vom BVerwG entwickelten Grundsätzen zur Abschneidemethodik und zur Summationsprüfung. Es wird klargestellt, dass die neuen Grundsätze auch in noch laufenden Verfahren zugrunde zu legen sind. Im Geschäftsbereich des Umweltministerium NRW ist daher ab sofort nicht mehr der LANUV-Stickstoffleitfaden in der Fassung der Verbändeanhörung (Stand: 29.09.2014) anzuwenden. Stattdessen soll in Anpassung an das BVerwG-Urteil bei Vorhaben nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) der so genannte „LAI/LANA-Leitfaden“ zur Anwendung kommen (im Internet unter: https://www.la-na.de/documents/stickstoffleitfaden-bimschg-anlagen-19-02-19_1557517123.pdf ), bei Straßenbauvorhaben der so genannte „FGSV-Leitfaden (H PSE)“ (im Internet unter: http://www.fgsv-verlag.de ).

In diesem Zusammenhang wird in dem Runderlass auch ein – nicht rechtskräftiges – Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Münster thematisiert (Urteil vom 12.04.2018, 2 K 2307/16). Die vom VG Münster vorgeschlagene Übertragung der FFH-Prüfmethodik auf den gesetzlichen Biotopschutz gemäß § 30 Absatz 2 BNatSchG wird vom Umweltministerium NRW angesichts des BVerwG-Urteils ausdrücklich nicht zur Anwendung empfohlen.

ie KOM hat am 25.07.2019 ein Vertragsverletzungsverfahrens (VVV) gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet, das die Verschlechterung des Erhaltungszustandes (EHZ) der FFH-Lebensraumtypen (LRT) "Flachland-Mähwiesen" (LRT 6510) und "Berg-Mähwiesen" (LRT 6520) in Deutschland zum Inhalt hat. Dem vorausgegangen war ein seit Mai 2018 laufendes EU-Pilotverfahren in derselben Angelegenheit (siehe Themendienst 06.2019).

Im Fokus des VVV stehen die landwirtschaftliche Bewirtschaftungspraxis von Mähwiesen und die Umsetzung von Erhaltungsmaßnahmen für die beiden LRT 6510 und 6520. Insgesamt sieht die KOM allgemeine und strukturelle Defizite Deutschlands, in den FFH-Gebieten geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen, die einer Verschlechterung des EHZ der LRT entgegenwirken. Die KOM führt erhebliche Flächenverluste der LRT seit dem Jahr 2006 an und bemängelt das systematische Fehlen einer Überwachung des EHZ sowie ein systematisches Versäumnis, ausreichend verbindliche Schutzmaßnahmen für die LRT festzulegen.

Aufschlussreich ist, dass die KOM als Datengrundlage für das VVV zum einen die Ergebnisse der deutschen FFH-Berichte gemäß Artikel 17 FFH-RL ausgewertet hat. Des Weiteren wurden durch die KOM die Informationen der Standarddatenbögen (SDB) der einzelnen FFH-Gebiete zum Zeitpunkt der Gebietsmeldung im Jahr 2006 mit den aktuellen SDB und mit Daten aus Maßnahmenplänen der Gebiete abgeglichen. Hinweise der Bundesländer auf zum Teil ungenaue und fehlerhafte Datenbestände aus dem damaligen Meldeprozess lässt die KOM als Begründung nicht gelten. (Zitat: „Die Kommission ist jedoch der Ansicht, dass der Versuch Deutschlands, sich jetzt von den Daten zu distanzieren, die sie 2006 mit ihren eigenen SDB zur Verfügung gestellt hat, nicht akzeptiert werden kann.“) Damit stärkt die KOM die Bedeutung der SDB als ihrer Ansicht nach zuverlässige Datenquelle für die Beurteilung der Verschlechterung des EHZ von LRT und Arten. In diesem Zusammenhang hält es die KOM für zwingend geboten, die SDB regelmäßig zu aktualisieren und die Daten auf dem neuesten Stand zu halten.

Fazit: Für die Zukunft lässt die Vorgehensweise und Argumentation der KOM auch bei anderen FFH-LRT und -Arten eine strenge Beurteilung sowie weitere VVV erwarten.

Das Umweltministerium NRW hat am 26.08.2019 eine Vorlage zum "FFH-Bericht 2019 des Landes NRW" an den nordrhein-westfälischen Landtag übermittelt (Vorlage 17/2335). Gemäß Artikel 17 der FFH-Richtlinie sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, alle sechs Jahre gegenüber der EU-Kommission einen Rechenschaftsbericht über den Erhaltungszustand der FFH-Lebensraumtypen (LRT) und -Arten ablegen. Den nordrhein-westfälischen Beitrag zum Bericht der Bundesrepublik Deutschland an die EU hat das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) erarbeitet. Der FFH-Bericht 2019 für NRW beinhaltet eine Dokumentation des Erhaltungszustandes der FFH-Lebensraumtypen (ca. 45 für NRW) und Arten (ca. 45 für NRW) getrennt nach Berg- und Tiefland.

Der FFH-Bericht 2019 für NRW lässt erkennen, dass sich zahlreiche Lebensräume (LRT) und Arten in Nordrhein-Westfalen bereits in einem günstigen Erhaltungszustand befinden. Dabei ist bei den LRT die Situation im Bergland deutlich besser als im Tiefland: 60 % der LRT im Bergland werden als günstig eingeschätzt (u.a. Wald-Lebensraumtypen, Heiden); im Tiefland sind es dagegen nur knapp 20 %. Bei den Arten liegt der Anteil im Berg- und Tiefland jeweils bei etwa 40 %. Eine gegenüber dem FFH-Bericht 2013 reale Verbesserung des Erhaltungszustandes konnte für Kalktrockenrasen im Tiefland, Wildkatze, Bechsteinfledermaus festgestellt werden. Die ungünstigen Erhaltungszustände zahlreicher anderer LRT und Arten erfordern dennoch verstärkte Anstrengungen zum Erhalt der biologischen Vielfalt. Wichtige Maßnahmen des Landes NRW sind hierbei die rechtliche Sicherung aller FFH-Gebiete, die Fertigstellung von Managementplänen für alle Gebiete sowie die konsequente Umsetzung des Gebietsmanagements.

Bei der Durchführung von FFH-Verträglichkeitsprüfungen kommt der „Summationsprüfung“ eine zentrale Rolle zu. Nach § 34 Absatz 1 BNatSchG ist dabei zu überprüfen, inwiefern ein Vorhaben im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen aufgrund „kumulativer Wirkungen“ zu erheblichen Beeinträchtigungen eines Gebietes führen kann. Sinn und Zweck dieser Betrachtung ist es, auch eine schleichende Beeinträchtigung durch nacheinander genehmigte, für sich genommen nicht erheblich beeinträchtigende Vorhaben zu verhindern. In der Praxis bestehen noch Unsicherheiten bezüglich der notwendigen Inhalte und der methodischen Schritte bei der Ermittlung und Bewertung der kumulativ auftretenden Beeinträchtigungen.

Auf der Grundlage aktueller Untersuchungsergebnisse sowie einer Literaturanalyse gibt das BfN konkrete Handlungsempfehlungen für die Durchführung der Summationsprüfung. Neben allgemeinen fachlichen und rechtlichen Hinweisen werden in dem Bericht konkrete Empfehlungen zur Ermittlung, Prognose und Bewertung von kumulativen Beeinträchtigungen gegeben. Zum Aufbau von FFH-VP-Datenbanken in den Bundesländern gibt der Bericht eine klare Empfehlung für das nordrhein-westfälische Fachinformationssystem „FFH-Verträglichkeitsprüfungen in NRW“ (https://ffh-vp.naturschutzinformationen.nrw.de/ffh-vp/de/start ).

Der EuGH hat Genehmigungen zum Abschuss von Wölfen enge Grenzen gesetzt und in einem Urteil strikte Bedingungen für Ausnahmen von dem artenschutzrechtlichen Verbot der absichtlichen Tötung von Wölfen beschrieben. Unter anderem müssen Behörden ein klares Ziel definieren und wissenschaftlich belegen, dass der Abschuss diesem dient und dass es keine Alternativen gibt.

Hintergrund ist ein Fall aus Finnland. Dort hatte ein Umweltverband gegen die Entscheidung der Wildtierbehörde geklagt, zwei Jägern den Abschuss von insgesamt sieben Wölfen zu erlauben. Die Behörde begründete die Genehmigung mit "Bestandspflege" und der Eindämmung von Wilderei. Schäden an Hunden sollten verhindert und das allgemeine Sicherheitsgefühl der Menschen erhöht werden. Letztlich sollte nach Angaben der Behörde die "gesellschaftliche Toleranz" gegenüber Wölfen erhöht werden.

Das Umweltministerium NRW hat am 02.07.2019 das etwa 500 Quadratkilometer große "Wolfsgebiet Eifel - Hohes Venn" mit einer etwa 1.250 Quadratkilometer großen, umliegenden Pufferzone ausgewiesen. Nach den Wolfsgebieten "Schermbeck" und "Senne" ist es das mittlerweile dritte Wolfsgebiet in Nordrhein-Westfalen. Die Ausweisung von Wolfsgebieten und Pufferzonen ist insbesondere für die Nutztierhaltung von großer Bedeutung, da das Land Nordrhein-Westfalen in diesen Bereichen auf der Grundlage der "Förderrichtlinien Wolf" vorbeugende Maßnahmen zum Herdenschutz zu 100% fördert.

Bei der Planung und dem Betrieb von Windenergieanlagen müssen Aspekte des Fledermausschutzes umfangreich berücksichtigt werden. Auf Bundesebene wurden in den letzten Jahren verschiedene Forschungsvorhaben initiiert, um mögliche Auswirkungen des Anlagenbaus und -betriebs auf Fledermäuse und ihre Lebensräume zu untersuchen und Lösungswege für den Schutz der nachtaktiven Tiere zu erarbeiten. Die "Fachagentur Windenergie an Land" hat hierzu im Mai 2019 eine Diskussionsveranstaltung mit Vertreter*innen aus der Planungspraxis, von Behörden und Verbänden sowie der Politik durchgeführt. Ziel der Veranstaltung war, Erkenntnisse aus aktuell laufenden oder kürzlich abgeschlossenen Forschungsvorhaben vorzustellen sowie Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die Praxis abzuleiten.