Ausgabe: September 2021
Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW
Ausgabe: September 2021
Der Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW wird erstellt und veröffentlicht von:
Dr. Ernst-Friedrich Kiel
Referatsleiter III-3 | Natura 2000, Verträglichkeitsprüfungen, Energiewende
Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen
Nach einem mehrjährigen Überarbeitungsprozess ist die Neufassung der „Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft“ (TA Luft) am 14.09.2021 im Gemeinsamen Ministerialblatt der Bundesregierung veröffentlicht worden. Die neue TA Luft tritt zum 01.12.2021 in Kraft.
Inhaltlich sieht die neue TA Luft strengere Begrenzungen für den Schadstoffausstoß von immissionsschutzrechtlich zu genehmigenden Anlagen vor. Sie definiert die zulässige Luftbelastung durch Ammoniak, Feinstaub oder Stickoxide sowie Höchstgrenzen für den Stickstoffeintrag in der Umgebung einer Anlage. So müssen beispielsweise große Tierhaltungsanlagen künftig 70 Prozent der Ammoniak- und Feinstaubemissionen aus ihrer Abluft filtern. Dies betrifft Ställe mit mehr als 1.500 Mastschweinen sowie solche mit mehr als 30.000 Masthühnern. Der Bundesrat hat im Rahmen seiner Befassung mit der neuen TA Luft am 28.05.2021 herausgestellt, dass die TA Luft einen wichtigen Beitrag zum Ausgleich möglicher Zielkonflikte zwischen Umwelt- und Tierschutz darstellt. Die Anpassung an den Stand der Technik begrüßt der Bundesrat ausdrücklich – dadurch würden stickstoffempfindliche Ökosysteme deutlich wirksamer vor den Einwirkungen durch gasförmiges Ammoniak geschützt.
Die neue TA Luft beinhaltet unter anderem in Kapitel 4.8 in Verbindung mit Anhang 8 erstmals Regelungen zur Prüfung der FFH-Verträglichkeit von Stickstoff- und Säureeinträgen in NATURA 2000-Gebiete. Demzufolge wird zur Abgrenzung des Einwirkbereiches der zu prüfenden Anlage ein Abschneidekriterium in Höhe von 0,3 kg Stickstoff/ha*Jahr beziehungsweise von 0,04 keq Säureäquivalente/ha*Jahr zugrunde gelegt. Dabei ist der Einwirkbereich als Fläche um den Emissionsschwerpunkt zu ermitteln. Liegen NATURA 2000-Gebiete innerhalb des Einwirkbereichs ist eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen. Weitere Konkretisierungen der FFH-Prüfmethodik beinhaltet die neue TA Luft allerdings nicht.
Außerhalb von NATURA 2000-Gebieten ist für die Prüfung, ob der Schutz vor erheblichen Nachteilen durch Schädigung empfindlicher Pflanzen und Ökosysteme durch Stickstoffdeposition gewährleistet ist, Anhang 9 heranzuziehen. Auswirkungen auf einzelne Hofgehölze sind dabei nicht zu betrachten. Anzumerken ist aber, dass die entsprechenden Prüfschritte dieser immissionsschutzrechtlichen Betrachtung auch für FFH-Anhang-I-Lebensraumtypen sowie für nach § 30 Bundesnaturschutzgesetz gesetzlich geschützte Biotope außerhalb der NATURA 2000-Gebiete gelten. Zur Abgrenzung des Beurteilungsgebietes ist diejenige Fläche zugrunde zu legen, die sich vollständig innerhalb eines Kreises um den Emissionsschwerpunkt mit einem Radius befindet, der dem 50-fachen der tatsächlichen Schornsteinhöhe entspricht und in der die Gesamtzusatzbelastung der Anlage im Aufpunkt mehr als 5 kg Stickstoff/ha*Jahr beträgt. Bei einer Austrittshöhe der Emissionen von weniger als 20 m über Flur soll der Radius mindestens ein Kilometer betragen.
Die Neufassung der TA Luft und die maßgeblichen Vorschriften zur Prüfung von Stickstoffeinträgen in Lebensräume können hier heruntergeladen werden
Das Fachinformationssystem (FIS) „FFH-Verträglichkeitsprüfungen in NRW“ dient der systematischen Dokumentation der in Nordrhein-Westfalen durchgeführten FFH-Verträglichkeitsprüfungen. Zur Verfügung gestellt werden in dem FIS alle relevanten Angaben zur Beeinträchtigung von NATURA 2000-Gebieten durch bereits genehmigte und laufende Pläne und Projekte. Seit Oktober 2020 umfasst das FIS auch ein Screeningmodell zur Ermittlung und Dokumentation von Stickstoffeinträgen in FFH-Lebensräume (siehe Themendienst 01.2021). Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) hat als Serviceleistung für Behörden und Gutachterbüros eine neue Handreichung zur Anwendung des FIS „FFH-Verträglichkeitsprüfungen in NRW“ erarbeitet. Darin finden sich neben den rechtlichen und methodischen Grundlagen detaillierte Anleitungen zur Protokollierung von FFH-Verträglichkeitsprüfungen sowie zur Verwendung des Screeningmodells.
Die Handreichung steht im Download-Bereich des FIS „FFH-Verträglichkeitsprüfungen in NRW“ zur Verfügung unter:
Der EuGH hat das Königreich Spanien im Zusammenhang mit einer Grundwasserentnahme im Naturpark Doñana unter anderem wegen eines Verstoßes gegen das Verschlechterungsverbot gemäß Artikel 6 Absatz 2 FFH-Richtlinie verurteilt. In dem Naturpark liegen drei FFH-Gebiete, die auch zum Schutz von grundwasserabhängigen Lebensraumtypen, wie den temporären mediterranen Flachgewässern ausgewiesen wurden. Der Entscheidung vorausgegangen waren mehrere Beschwerden bei der EU-Kommission (KOM) wegen der Verschlechterung der Gebiete durch eine Übernutzung des Grundwasserkörpers. Diese Beschwerden waren Ausgangspunkt eines Vertragsverletzungsverfahrens der KOM gegen das Königreich Spanien, wegen der unzureichenden Anwendung der unionsrechtlichen Vorschriften der FFH-Richtlinie und der Wasserrahmenrichtlinie, was letzten Endes zu einer Klage vor dem EuGH führte.
Der EuGH bestätigt mit dem Urteil seine strenge Rechtsprechung zum FFH-Verschlechterungsverbot in Bezug auf den Grundwasserkörper und die Entnahme von Grundwasser in FFH-Gebieten. Bemerkenswert ist an dem Fall, dass es in dem Verfahren um die Fortführung der gegenwärtigen Praxis der Grundwasserentnahme ging, durch die sich die nachgewiesene Verschlechterung der betreffenden Lebensräume in den Schutzgebieten über Jahre hinweg ergeben hatte. Diesem Aspekt des Verfahrens lag also kein konkretes Genehmigungsverfahren zugrunde. Gleichwohl stellt der EuGH klar, dass bei der Bewertung von Verschlechterungen derselbe Maßstab wie bei einer FFH-Verträglichkeitsprüfung gelten muss, da Artikel 6 Absätze 2 und 3 der FFH-RL das gleiche Schutzniveau gewährleisten (vgl. RdNrn. 156ff und 170ff). Um die Feststellung einer Verschlechterung zu entkräften, hätte das Königreich Spanien solche Umstände vorbringen müssen, die es erlaubt hätten, jeden vernünftigen Zweifel auszuschließen, dass die fortgeführte Grundwasserentnahme für die geschützten Lebensräume aus wissenschaftlicher Sicht unschädlich ist. „Zu diesem Zweck verlangt die Richtlinie […] eine Verträglichkeitsprüfung, wie sie nach Artikel 6 Absatz 3 dieser Richtlinie durchzuführen ist“, so das Gericht.
Des Weiteren weist der EuGH in seiner Entscheidung darauf hin, dass das FFH-Verschlechterungsverbot nur für negative Entwicklungen ab dem Zeitpunkt der Aufnahme eines FFH-Gebietes in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung Anwendung findet (vgl. RdNrn. 163ff des Urteils). Zeitlich frühere Veränderungen und Verschlechterungen können somit keinen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot darstellen. In dem konkreten Fall hingegen führten erst nach der Gebietslistung eingetretene, negative Auswirkungen der Wasserentnahme für die Versorgung eines Tourismusgebietes zu der von der KOM festgestellten Verschlechterung der Gebiete. In diesem Kontext sind auch die Darlegungen in den Schlussanträgen der Generalanwältin zur zeitlichen Anwendbarkeit des Verschlechterungsverbots aufschlussreich (vgl. RdNrn 59ff der Schlussanträge). Alte Beeinträchtigungen vor der Gebietslistung sind demnach als Vorbelastung anzusehen. Neue Beeinträchtigungen der Schutzgebiete, die sich auch durch eine fortdauernde Tätigkeit ergeben können, verletzen dagegen das Verschlechterungsverbot. „Überlegungen bezüglich der Rechtssicherheit und des Vertrauens in die Fortführung einer bestimmten Aktivität ändern daran nichts“, so die Generalanwältin.
Das Urteil und die Schlussanträge der Generalanwältin können auf der InfoCuria-Seite zur Rechtsprechung des EuGH heruntergeladen werden unter:
Im Zusammenhang mit der Genehmigung von fünf Windenergieanlagen (WEA) in der Eifel hat sich der 7. Senat des OVG Münster mit den Möglichkeiten und Grenzen einer artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung nach § 45 Absatz 7 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) beschäftigt. In dem Verfahren ging es um die Beschwerde eines Anlagenbetreibers gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Aachen, mit dem die Errichtung der streitgegenständlichen WEA zunächst gestoppt wurde. Das VG war davon ausgegangen, dass der Betrieb der Anlagen bezüglich des Rotmilans zu einem Verstoß gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot (§ 44 Absatz 1 Nummer 1 BNatSchG) führe. Der 7. Senat des OVG Münster kam dagegen zu einem anderen Schluss und hat den vorläufigen Baustopp wieder aufgehoben. Nach Einschätzung des Gerichtes erscheint es keineswegs wahrscheinlich, dass die angefochtene Genehmigung wegen eines Verstoßes gegen das Tötungsverbot bezüglich des Rotmilans rechtswidrig sei.
Bemerkenswert an der Entscheidung ist, dass es nach Auffassung des 7. Senats „dahin stehen kann“ ob ein Verstoß gegen das Tötungsverbot vorliegt, weil für den Fall einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos auch „ein Ausnahmetatbestand nach § 45 Absatz 7 BNatSchG in Betracht zu ziehen wäre“ (vgl. RdNr. 21). In seiner Begründung greift der 7. Senat des OVG Münster mehrere aktuelle Entwicklungen auf, die derzeit im Fokus der fachlichen und rechtlichen Diskussion rund um die artenschutzrechtliche Ausnahmeregelung stehen. So weist der Senat darauf hin, dass Ausnahmen nach § 45 Absatz 7 Satz 1 BNatSchG unter Anwendung der dort in Nr. 5 genannten „anderen zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art“ grundsätzlich auch für die Windenergienutzung in Betracht kämen (vgl. RdNrn. 30ff). In diesem Kontext verweist das Gericht zum einen auf eine Handlungsempfehlung zur artenschutzrechtlichen Ausnahme bei Windenergievorhaben, die im Mai 2020 durch die Umweltministerkonferenz (UMK) beschlossen wurde (siehe Themendienst 06.2020). Des Weiteren hat der 7. Senat offenbar keine Zweifel, dass die deutsche Ausnahmeregelung des § 45 Absatz 7 BNatSchG hinsichtlich der Vogelarten im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Vogelschutzrichtlinie steht (vgl. RdNrn. 41ff). Demgegenüber hatte das Verwaltungsgericht (VG) Gießen in einer viel beachteten Entscheidung vom Januar 2020 sehr grundlegende EU-rechtliche Bedenken gegenüber den Ausnahmegründen für Vogelarten geäußert (vgl. VG Gießen, Urteil v. 22.01.2020, Az.: 1 K 6019/18.GI; siehe Themendienst 06.2020).
Fazit: Die Rechtsprechung des OVG Münster lenkt den Blick auf einen Aspekt, der bislang in der nordrhein-westfälischen Genehmigungspraxis von Windenergieprojekten keine Rolle spielte: Das artenschutzrechtliche Ausnahmeverfahren nach § 45 Absatz 7 BNatSchG. Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich die vom 7. Senat entwickelte Argumentation in den kommenden Entscheidungen des OVG niederschlagen wird und wie der Beschluss auch von den anderen Verwaltungsgerichten aufgenommen wird. Anzumerken ist außerdem, dass trotz der gegebenenfalls bestehenden Möglichkeit einer solchen Ausnahmeregelung, im Einzelfall dennoch zunächst das volle Prüfprogramm einer Artenschutzprüfung inklusive der Notwendigkeit zur Vermeidung und zum vorgezogenen Ausgleich erfüllt sein muss. Des Weiteren müssen im Ausnahmeverfahren weiterhin – neben den im Beschluss thematisierten „zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ – die strengen Anforderungen an die Alternativlosigkeit und den Erhaltungszustand der Populationen der Arten erfüllt sein.
Der Beschluss kann im Justiz-Portal NRW heruntergeladen werden unter:
Das OVG Münster hat sich in zwei Entscheidungen detailliert mit Abschaltanordnungen von Windenergieanlagen (WEA) zum Schutz von Fledermäusen auseinandergesetzt. In seinem Urteil vom 01.03.2021 bestätigt das Gericht die im NRW-Leitfaden „Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen“ (1. Änderungsfassung vom 10.11.2017) in Kapitel 8 (unter 2b) und Kapitel 9 entwickelte Abschalt-Konzeption. Der NRW-Leitfaden sieht für kollisionsgefährdete WEA-empfindliche Fledermaus-Arten zunächst eine nächtliche Abschaltung von WEA vom 01.04.-31.10. zu bestimmten Witterungsbedingungen vor. Durch ein Gondelmonitoring kann dieses umfassende Abschaltszenario gegebenenfalls nachträglich „betriebsfreundlich“ optimiert werden. In dem konkreten Fall bestätigt das Gericht die von der Behörde in enger Anlehnung an den NRW-Leitfaden vorgegebene Abschaltung insbesondere mit Blick auf die zu den Abschaltzeiten vorherrschenden Witterungsbedingungen (Temperaturen > 10° C und Windgeschwindigkeiten im (10-Minuten-)Mittel < 6 m/Sekunde) sowie den Mechanismus des Gondelmonitorings (zweijähriges Monitoring nach der Methodik von Brinkmann et al. 2011) (vgl. RdNrn. 245 ff). Angesichts dieser aus Sicht des Gerichtes geeigneten Maßnahme, verstößt das Vorhaben hinsichtlich der Fledermäuse nicht gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot des § 44 Absatz 1 Nummer 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG).
In diesem Kontext hat sich das OVG Münster auch mit der Detailfrage beschäftigt, bis zu welcher Windgeschwindigkeit eine WEA abzuschalten wäre, um das Tötungsrisiko für Fledermäuse hinreichend zu verringern. Diesbezüglich fehlt es nach Darstellung des Gerichtes derzeit noch an einer allgemein anerkannten Fachmeinung. Der im konkreten Fall strittige Abschaltalgorithmus (< 6 m/s) liegt allerdings im Spektrum der fachwissenschaftlich nach dem aktuellen Forschungsstand als vertretbar eingestuften Anschaltwindgeschwindigkeit (ganz überwiegend zwischen 6 m/s und 6,5 m/s) und stellt damit hinreichend sicher, dass ein etwaiges Tötungsrisiko unterhalb der Signifikanzschwelle bleibt. Das OVG stützt sich in seiner Argumentation dabei auf eine Vielzahl gängiger Regelungen in den Bundesländern. Auch die so genannte „RENEBAT III-Studie“ kommt nach Darstellung des Gerichtes zu dem Ergebnis, dass die „am häufigsten verwendeten Kriterien < 6m/s und > 10°C“ nicht zu beanstanden sind. Vor dem Hintergrund der fachwissenschaftlichen Erkenntnisse, die grundsätzlich für alle Fledermausarten gelten, ist die Anschaltwindgeschwindigkeit auch nicht deswegen zwingend heraufzusetzen, weil die Arten Kleiner Abendsegler, Großer Abendsegler und Rauhautfledermaus auch bei Windgeschwindigkeiten von mehr als 6 m/Sekunde fliegen und am Vorhabenstandort vorkommen können. Auch zu dieser Frage verweist das Gericht auf die RENEBAT III-Studie (Seite 401), die für die drei genannten Arten lediglich aus Vorsorgegrundsätzen in Gebieten, in denen lokale Vorkommen oder Zuggeschehen dieser Arten zu erwarten sind, eine höhere Anlaufwindgeschwindigkeit von 7 bzw. 7,5 m/s begrüßt – eine solche aber nicht zwingend einfordert.
Auch in der Entscheidung vom 02.07.2021 bestätigt das OVG Münster die im konkreten Fall im Genehmigungsbescheid vorgesehenen Nebenbestimmungen zur Abschaltung von WEA aus Gründen des Fledermausschutzes. Wiederum hatte sich die Behörde für ein Abschalt-Konzept entschieden, das den Empfehlungen des NRW-Leitfadens „Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen“ entspricht, was nach Darstellung des Gerichtes „naturschutzfachlich nicht zu beanstanden“ ist (vgl. RdNrn. 31 ff). Hinsichtlich der Detailfrage nach einem Schwellenwert für das Tötungsrisiko von Fledermäusen musste die Behörde nicht schon in der Genehmigung selbst einen Schwellenwert (kleiner 1) für die Zahl der maximal getöteten Fledermäuse bei einer künftigen etwaigen Anpassung des Abschaltalgorithmus festsetzen. Mit Blick darauf, dass das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot trotz seines Individuenbezugs lediglich gebietet, eine signifikante Steigerung des Risikos zu vermindern, ist ein Null-Risiko nicht gefordert. Es genüge den Anforderungen des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, so das Gericht, wenn die Genehmigung vorschreibt, dass ein Abschaltalgorithmus auf der Grundlage der Ergebnisse eines zweijährigen leitfadenkonformen Fledermausmonitorings zwischen einem qualifizierten Fachgutachter mit Erfahrungen mit einem solchen Monitoring und der unteren Naturschutzbehörde abgestimmt werde.
Die Entscheidungen können im Justiz-Portal NRW heruntergeladen werden unter:
In der behördlichen Verwaltungspraxis stellt sich wiederholt die Frage nach dem „korrekten“ Umgang mit der nachträglichen Ansiedelung europäisch geschützter Arten (FFH-Anhang IV-Arten, europäischen Vogelarten) im Wirkungsbereich von bereits genehmigten oder errichteten Windenergieanlagen (WEA). Derartige Fallkonstellationen stellen im Rahmen der behördlichen Überwachung eine besondere Herausforderung dar, da die jeweiligen Konflikte im Genehmigungsverfahren noch nicht vorausgesehen und über Nebenbestimmungen abgedeckt werden konnten.
In diesem Zusammenhang hat sich das OVG Lüneburg neuerlich mit der Rechtmäßigkeit von nachträglichen Abschaltanordnungen von WEA zum Schutz von Fledermäusen auseinandergesetzt. In dem konkreten Fall ging es im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes um sechs WEA, die bereits im Jahr 2006 genehmigt wurden. Rund 15 Jahre nach der ursprünglichen Genehmigung wurde der Windparkbetreiber behördlicherseits durch einen Bescheid dazu verpflichtet, die Anlagen zwischen Mitte April und Ende August in der Nacht (Sonnenuntergang bis zwei Stunden vor Sonnenaufgang) bei bestimmten Wetterlagen (Temperatur von mindestens 10 Grad, Windgeschwindigkeit von bis zu 6 m/s, kein Regen) abzuschalten. Im Ergebnis bestätigte das Gericht nach summarischer Prüfung und mit Blick auf die Erfolgschancen im Hauptsacheverfahren die Anordnung für drei der sechs strittigen Anlagen.
Das OVG Lüneburg stellt in seiner Entscheidung klar, dass für eine nachträgliche Anordnung von Abschaltzeiten zum Schutz von Fledermäusen mit dem § 3 Absatz 2 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) eine geeignete Rechtsgrundlage besteht. Allerdings weist das Gericht darauf hin, dass im Fall der nachträglichen Anordnung nach § 3 Absatz 2 BNatSchG die Beweislast für einen Verstoß gegen die artenschutzrechtlichen Verbote allein bei der Behörde liegt – anders als im Genehmigungsverfahren, in dem der Anlagenbetreiber nachzuweisen hat, dass seinem Vorhaben das Artenschutzrecht nicht entgegensteht. Insofern wäre es auch nicht gerechtfertigt dem Windparkbetreiber etwaige Kosten für eine gesetzlich so nicht vorgesehene Eigenüberwachung aufzuerlegen. Dem Betreiber könne jedoch „die Duldung weiterer behördlicher Sachverhaltsaufklärung abverlangt werden.“ Als eine solche käme nach Auffassung des Gerichtes etwa „die Duldung eines – dann allerdings auf Kosten der Behörde zu veranlassenden – Gondelmonitorings in Betracht.“
Als Entscheidungsgrundlage für die Abschaltanordnung dienten der Behörde im konkreten Streitfall mehrjährige Totfundmeldungen von Fledermäusen, die von einer Umweltorganisation zusammengetragen wurden, sowie aktuelle Ergebnisse einer Fledermauskartierung, die von der planenden Gemeinde im Rahmen ihrer Bauleitplanung ermittelt wurden. Diesbezüglich kam das OVG zu dem Schluss, dass für eine nachträgliche Anordnung nicht die gleiche Untersuchungstiefe geboten sei, wie im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren. Für die Planung und Genehmigung von WEA finden sich im niedersächsischen Artenschutz-Leitfäden entsprechende Vorgaben zur Sachverhaltsermittlung. Nach Auffassung des Gerichtes ist es aber ohne Weiteres denkbar, „dass schon die auf der Basis von weniger detaillierten, noch nicht den durchschnittlichen Anforderungen des Leitfadens entsprechenden Untersuchungen bei laufenden WEA gewonnenen Erkenntnisse ausreichen“ um einen Verstoß gegen das Tötungsverbot zu bejahen. Dies sei etwa dann der Fall, wenn „bereits bei wenigen repräsentativen Terminen eine Vielzahl von bedrohten Fledermäusen festgestellt worden ist.“ Dann wäre es nach Darstellung des Gerichtes aber „ersichtlich rechtswidrig“, vor einem Einschreiten der Behörden noch weitere Begehungen ohne zusätzlichen Erkenntnisgewinn insoweit zu verlangen.
Am Ende seiner schriftlichen Begründung geht das OVG Lüneburg noch auf den viel beachteten „Klima-Beschluss“ des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG, Beschluss v. 24.03.2021, 1 BvR 2656/18) ein. Nach Auffassung mancher Kommentatoren begründe die Entscheidung des BVerfG eine Vorrangstellung der Windenergienutzung vor dem Artenschutz, indem behördliche und gerichtliche Entscheidungen zukünftig in erster Linie an den staatlichen Schutzpflichten im Hinblick auf den Klimawandel auszurichten seien. Diesbezüglich stellt das OVG aber im Zusammenhang mit dem konkreten Streitfall klar, dass sich in dem Klima-Beschluss keine generellen Grenzen für einen nachträglichen Eingriff in den Betrieb bestehender WEA zum Schutz von Fledermäusen entnehmen ließe, erst recht nicht bei nur geringen Ertragseinbußen. Zum Schluss verweist das Gericht noch auf Artikel 20 a Grundgesetz (GG), der neben der staatlichen Verantwortung für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ausdrücklich auch den Schutz der Tiere umfasst, mithin also den Schutz von Fledermäusen.
Die Bedeutung von Kleinwindanlagen (KWEA) für die Deckung des Stromverbrauchs in Deutschland ist zwar nur vergleichsweise gering, da sie vorrangig dem Eigenverbrauch von Eigenheimbesitzern, kleinen Gewerbebetrieben und landwirtschaftlichen Betrieben dienen. Dennoch hat sich im Zuge der Energiewende in Deutschland ein beachtlicher Markt für KWEA etabliert, so dass es in Deutschland mittlerweile über 17.000 KWEA gibt. Über die Auswirkungen von KWEA auf Vögel und Fledermäuse in Mitteleuropa liegen bislang nur wenige Erkenntnisse vor. Im Gegensatz zu „großen“ WEA gibt es bei KWEA zahlreiche Bauformen mit horizontalen oder auch vertikalen Rotorachsen in verschiedenen Varianten. KWEA stehen in der Regel in der direkten Umgebung von Siedlungen oder landwirtschaftlichen Betrieben. Auch aufgrund der geringeren Höhe kann sich das zu erwartende Artenspektrum deutlich von den Standorten großer WEA unterscheiden. Insofern bestehen auf Seiten von Antragstellern und Behörden große Unsicherheiten bei der Genehmigung von KWEA, vor allem hinsichtlich der artenschutzrechtlichen Anforderungen zum Tötungs- und Verletzungsverbotes (§ 44 Absatz 1 Nummer 1 BNatSchG). Vor diesem Hintergrund hat sich das BfN dieser Thematik angenommen und im Rahmen einer Feldstudie an 14 Anlagen die Auswirkungen von KWEA auf Vögel und Fledermäuse untersuchen lassen.
Hinsichtlich der Vogelarten konnte der Faktor „KWEA“ in der Studie nicht als eine signifikant negative Einflussgröße für die Vogeldichte und das Vorkommen von Brutvogelarten bestätigt werden. Angesichts der stark schwankenden Anzahl der Flugbewegungen im Gefahrenbereich ließen sich bei den Vögeln auch keine verallgemeinerbaren Aussagen zu gefährlichen Flugbewegungen ableiten. Die Arten, die am häufigsten im Gefahrenbereich beobachtet wurden, waren Stare, Wachholderdrosseln, Sturmmöwen, Rauchschwalben und Dohlen. Die Schlagopfersuche ergab bei den Vögeln acht sichere Schlagopferfunde ansonsten nicht WEA-empfindlicher Arten (Bachstelze, Rabenkrähe, Star, Stieglitz, Turmfalke, Dohle), woraus eine jährliche Schlagopferzahl für Vögel von 0,82 pro KWEA errechnet wurde. Bei den Fledermäusen hatte der Betriebszustand der KWEA keinen signifikant nachweisbaren Einfluss auf das räumliche Flugverhalten der Fledermäuse. In diesem Sinne konnte auch kein Meideverhalten festgestellt werden. Weiterhin konnten unter den Fledermäusen auch keine Schlagopfer gefunden werden. Insgesamt lässt der vom BfN veröffentlichte Ergebnisbericht nur vergleichsweise geringe Auswirkungen von KWEA auf Vögel und Fledermäuse erkennen. Die in dem Papier abgeleiteten Empfehlungen für die Planung, Genehmigung und den Betrieb von KWEA lassen sich auch nach Darstellung der Verfasser der Studie nicht auf andere Standorte, andere Anlagentypen und -größen und anderen Artenspektren übertragen. Gleichwohl leistet das Papier einen wichtigen Beitrag zur naturschutzfachlichen Beurteilung von KWEA in dem es den derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Forschung sowie alle relevanten Hintergründe und Kenntnisse zu diesem Thema anschaulich darstellt.
Die Veröffentlichung kann auf der Homepage des BfN heruntergeladen werden unter:
- 05.10.2021: "Windenergie – Arten- und Habitatschutz"; Veranstalter: Bildungszentrum für die Ver- und Entsorgungswirtschaft (BEW), Veranstaltungsort: Duisburg und Online-Live-Seminar
Link: https://www.bew.de/veranstaltung/immissionsschutz/anlagenspezifischer-immissionsschutz/windenergie-arten-und-habitatschutz.html - 25.10.2021: "Bearbeitung von charakteristischen Arten im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung"; Veranstalter: Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. (VHW), Online-Seminar
Link: https://www.vhw.de/veranstaltung/bearbeitung-von-charakteristischen-arten-im-rahmen-der-ffh-vertraeglichkeitspruefung-am-25-10-2021-in-frankfurt-am-main-he210702 - 02.-03.11.2021: "Europäische Naturschutzbestimmungen in der Planungs- und Genehmigungspraxis (Grundseminar)"; Veranstalter: Bildungszentrum für die Ver- und Entsorgungswirtschaft (BEW), Veranstaltungsort: Duisburg
Link: https://www.bew.de/veranstaltung/immissionsschutz/genehmigung-und-ueberwachung/europaeische-naturschutzbestimmungen-in-der-planungs-undgenehmigungspraxis.html - 15.11.2021: "Planung und Management von Artenschutzmaßnahmen (CEF-/FCS-Maßnahmen)"; Veranstalter: Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. (VHW), Veranstaltungsort: Hannover
Link: https://www.vhw.de/fortbildung/veranstaltung/planung-und-management-von-artenschutzmassnahmen-cef-fcs-massnahmen-am-15-11-2021-in-hannover-ns210705/ - 29.11.2021: NEU!!!"Vertiefungsseminar - Europäische Naturschutzbestimmungen für Fortgeschrittene"; Veranstalter: Bildungszentrum für die Ver- und Entsorgungswirtschaft (BEW), Veranstaltungsort: Duisburg
Link: https://www.bew.de/veranstaltung/immissionsschutz/genehmigung-und-ueberwachung/europaeische-naturschutzbestimmungen-in-der-planungs-und-genehmigungspraxis-vertiefungsseminar.html - 13.12.2021: "Planung und Management von Artenschutzmaßnahmen (CEF-/FCS-Maßnahmen)"; Veranstalter: Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. (VHW), Veranstaltungsort: Ulm
Link: https://www.vhw.de/veranstaltung/planung-und-management-von-artenschutzmassnahmen-cef-fcs-massnahmen-am-13-12-2021-in-ulm-bw210703/
Bisher veröffentlichte Themendienste
- Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW (Februar 2022)
- Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW (September 2021)
- Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW (Mai 2021)
- Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW (Januar 2021)
- Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW (Juni 2020)
- Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW (März 2020)
- Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW (Oktober 2019)
- Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW (Juni 2019)
- Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW (März 2019)