Ein Feldhamster sitzt auf einer Wiese und blickt in die Kamera. © Zdeněk Macháček / Unsplash

Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW

Ausgabe: Februar 2022

Der Themendienst Arten- und Habitatschutz NRW wird erstellt und veröffentlicht von:

Dr. Ernst-Friedrich Kiel
Referatsleiter  III-3 | Natura 2000, Verträglichkeitsprüfungen, Energiewende
Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen

 

Im Rahmen des seit 2019 laufenden Vertragsverletzungsverfahren (VVV) Nr. 2019/2145 „Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Mähwiesen“ hat die KOM am 02.12.2021 beschlossen, die Bundesrepublik Deutschland vor dem EuGH zu verklagen. Die Klageschrift wird in den nächsten Wochen eingereicht. Anschließend wird der EuGH diese dann an Deutschland übermitteln. Die Beantwortungsfrist wird erfahrungsgemäß etwa zwei Monate betragen.
Nach Auffassung der KOM hat Deutschland angesichts einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes (EHZ) der FFH-Lebensraumtypen (LRT) „Flachland-Mähwiesen“ (LRT 6510) und „Berg-Mähwiesen“ (LRT 6520) gegen die Verpflichtungen der FFH-Richtlinie verstoßen. Als Hauptkritikpunkte hat die KOM bereits im Oktober 2020 in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme zum VVV benannt (siehe Themendienst 01.2021) und nun auch in einer begleitenden Pressemitteilung ausgeführt, dass:

  • die LRT 6510 und 6520 in den FFH-Gebieten nicht ausreichend geschützt würden und Deutschland damit den FFH-Anforderungen nicht nachkäme,
  • sich die beiden LRT in zahlreichen FFH-Gebieten vor allem aufgrund nicht nachhaltiger Agrarpraktiken in den vergangenen Jahren erheblich verkleinert hätten oder ganz verschwunden seien,
  • in Deutschland nach wie vor keine ausreichende rechtliche Unterschutzstellung der genannten LRT gegeben sei,
  • die bisherigen Bemühungen der deutschen Behörden nicht zufriedenstellend und unzureichend seien.

Fazit: Die Klage vor dem EuGH kann weitreichende Konsequenzen für die zukünftige landwirtschaftliche Grünlandnutzung in den FFH-Gebieten in Deutschland haben. Sollte die KOM Recht bekommen, dass die derzeitigen Regelungen (v.a. Düngung und Mahdhäufigkeit betreffend) unzureichend sind, könnte dies eine Abkehr vom bislang verfolgten Ansatz der freiwilligen vertraglichen Vereinbarungen zur Flächenbewirtschaftung in den Natura 2000-Gebieten bedeuten. In der Folge könnte dies aber auch zu einer höheren Verbindlichkeit bei der Umsetzung von Bewirtschaftungsplänen sowie der in den Schutzgebietsverordnungen verankerten Ge- und Verbote hinsichtlich der Mahd und Düngung in den Gebieten führen.

 

Die KOM hat ihren „in die Jahre gekommenen“ Methoden-Leitfaden zur FFH-Verträglichkeitsprüfung aus dem Jahr 2002 grundlegend überarbeitet und am 28.09.2021 in einer aktualisierten Fassung veröffentlicht (Vermerk der KOM C(2021) 6913 final). Grundlage für die Überarbeitung des Leitfadens war eine systematische Überprüfung der derzeit geltenden EU-Leitlinien, der aktuellen Literatur, neuer Fallstudien sowie der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) durch die KOM unter Beteiligung der EU-Mitgliedstaaten.
Der Leitfaden beinhaltet wichtige Definitionen, praxisgerechte Auslegungshilfen sowie zahlreiche Fallbeispiele zur Durchführung der FFH-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP). In dem über 170 Seiten umfassenden Papier werden zunächst die rechtlichen Grundlagen des Artikels 6 Absätze 3 und 4 FFH-RL sowie die Grundprinzipien des darin normierten Prüfverfahrens benannt. Anhand eines Fließdiagramms werden die drei Phasen einer FFH-VP mit den entsprechenden Prüfschritten dargestellt. Auf dieser Grundlage werden für jeden einzelnen Prüfschritt geeignete Methoden und Instrumente dargestellt und mit zahlreichen Beispielen, Checklisten und Ablaufdiagrammen unterfüttert. Darüber hinaus beinhaltet der Leitfaden umfangreiche Ausführungen zur strategischen Planung sowie zur FFH-VP von Plänen. Hieran anschließend werden auch die Zusammenhänge mit anderen nach EU-Recht vorgeschriebenen Umweltprüfungen (Umweltverträglichkeitsprüfung, Prüfungen nach der Wasserrahmenrechtlinie u.a.) dargestellt. Im Anhang werden schließlich zahlreiche Praxisbeispiele für Vorgehensweisen, Fallbeispiele und Methoden aus den Mitgliedstaaten aufbereitet.
Im Zusammenhang mit der Prüfung möglicher kumulativer Auswirkungen im Rahmen der FFH-VP betont die KOM in Kapitel 3.1.4 (S. 25f), dass dieser Prüfschritt bereits auf Ebene der FFH-Vorprüfung (Screening) erforderlich ist. Hinsichtlich der Beschaffung von Informationen über andere Pläne und Projekte, die im Zusammenwirken kumulative Auswirkungen auf ein Natura-2000-Gebiet haben können, sieht die KOM durchaus eine große Herausforderung für die Verfahrensbeteiligten. „Es ist sehr nützlich, über Datenbanken oder Informationssysteme zu verfügen, die diese Informationen in einem ausgewählten Gebiet bereitstellen können. Einige Länder verfügen bereits über solche Datenbanken oder Informationssysteme oder entwickeln sie gerade“, so die KOM. In diesem Kontext wird in dem Leitfaden als einziges Beispiel das Informationssystem zu FFH-Verträglichkeitsprüfungen in Nordrhein-Westfalen angeführt (https://ffh-vp.naturschutzinformationen.nrw.de/ffh-vp/de/start).
Hinzuweisen ist ferner auf Kapitel 3.2.4 (S. 60ff) des Leitfadens, in dem sich umfangreiche Ausführungen zur Prüfung geeigneter „Abschwächungsmaßnahmen“ finden. Hierbei handelt es sich um die im sonstigen Schrifttum auch als „Schadensbegrenzungsmaßnahmen“ bezeichneten Maßnahmen, mit denen die Auswirkungen eines Planes oder Projektes so vermieden oder verringert werden können, dass ein Natura 2000-Gebiet als solches nicht mehr beeinträchtigt wird. Warum die KOM in der deutschen Übersetzung hierfür den neuen Begriff „Abschwächungsmaßnahme“ verwendet, ist unklar und möglicherweise auf einen Übersetzungsfehler zurück zu führen. Derartige Maßnahmen auf Ebene einer vertiefenden FFH-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP Stufe II, d.h. innerhalb der Prüfsystematik noch vor dem Ausnahmeverfahren Stufe III) sieht die Originalnorm der FFH-Richtlinie so zunächst nicht vor. Die Ausführungen in dem Leitfaden machen auf jeden Fall deutlich, dass die KOM dieses Instrument sehr wohl – und zwar unter Einhaltung klar definierter Rahmenbedingungen – für möglich hält.

Das Umweltministerium NRW hat mit Erlass vom 26.11.2021 den NRW-Leitfaden „Das Genehmigungs- und Anzeigeverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz“ veröffentlicht. In dem Leitfaden werden rechtliche, inhaltliche und methodische Aspekte sowie Verfahrensfragen und Zuständigkeiten geklärt. Ziel des Leitfadens ist es, den Ablauf und die Anforderungen an das immissionsschutzrechtliche Anzeige- und Zulassungsverfahren in einer Handlungsanleitung für Behörden und Antragsteller darzustellen und eine rechtssichere und effiziente Durchführung der Verfahren in der vorgesehenen Zeit zu ermöglichen. Ein entscheidender Faktor für die Dauer von Genehmigungsverfahren sind Umfang und Qualität der Antragsunterlagen. Wenn diese entsprechend den einschlägigen Bestimmungen umfassend und qualitativ gut eingereicht werden, können die Verfahren zügig und effizient durchgeführt werden. In diesem Sinne gibt der Leitfaden nicht nur Hinweise zu den im Immissionsschutzrecht verankerten Beschleunigungsinstrumenten, sondern es werden auch alle relevanten Erlasse und Leitfäden aus anderen Rechtsgebieten benannt, die im Rahmen von immissionsschutzrechtlichen Verfahren zu beachten sind. Hierzu zählen unter anderem die nordrhein-westfälischen Vorschriften und Leitfäden zum Arten- und Habitatschutz sowie die entsprechenden Fachinformationssysteme des Landes Nordrhein-Westfalen im Internet (siehe Kapitel 7.1.7.6 auf Seite 55 und Kapitel 7.2.2.2 auf Seite 91).

er VGH Kassel hat sich im Zusammenhang mit der gerichtlichen Auseinandersetzung um ein Logistikzentrum in der Wetterau (Hessen) mit den formalen Anforderungen an die Durchführung der FFH-Verträglichkeitsprüfung ausführlich beschäftigt. In dem konkreten Streitfall ordnete das Gericht einen Baustopp an, da im Rahmen der Baugenehmigung die Naturschutzbelange nicht ausreichend geprüft worden seien. Die Unterlagen zur Ermittlung der naturschutzrechtlichen Belange genügten nicht den an sie zu stellenden Anforderungen. Auch sei nicht klar zu erkennen, ob hinsichtlich der Beeinträchtigung der angrenzenden Natura 2000-Gebiete die notwendigen Ortsbegehungen oder Kartierungen durchgeführt worden seien.

Aufschlussreich ist die schriftliche Entscheidungsbegründung insbesondere hinsichtlich der vom Gericht kritisierten Vorgehensweise bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung. Diesbezüglich bekräftigt der VGH Kassel seine gefestigte Auslegung, dass sowohl eine FFH-Vorprüfung als auch ein entsprechender Fachbeitrag für das Gericht nachvollziehbar und schlüssig hinsichtlich ihrer Ausführungen zum Prüfbereich und zu dem Untersuchungsgebiet sein müssen (vgl. RdNrn. 16 ff). Dies war aber im vorliegenden Verfahren offenkundig nicht der Fall.

So bemängelt der Senat insbesondere die Vorgehensweise der prüfenden Behörde, die in einem Vermerk zur FFH-Vorprüfung ausführte, dass die Prüfung auf der „Aktenlage und den Orts- und Aktenkenntnissen des Verfassers“ beruhe und man davon ausgehe, dass vorhandene und geplante Gehölzsäume optische und akustische Beeinträchtigungen wirksam abpufferten. Details der Erhaltungsziele zu den einzelnen Arten und Lebensraumtypen könnten nach Darlegung der Behörde der Natura 2000-Verordnung entnommen werden. Diese Argumentation konnte das Gericht jedoch nicht überzeugen. In dem schriftlichen Prüfvermerk der Behörde werde weder erläutert, warum der Verfasser des Vermerks über besondere Kenntnisse vor Ort verfügt, aus welcher Zeit diese stammen und welche Untersuchungen wann vor Ort durchgeführt wurden, noch auf welche Aktenbestände, die für die Einschätzung des Verfahrens relevant sein könnten, zurückgegriffen wurde. „Durch derart vage Angaben kann eine vorgeblich durchgeführte FFH-Vorprüfung (Screening) nach den oben genannten Kriterien nicht nachvollziehbar belegt werden“, so das Gericht.

Ebenso unzureichend war nach Einschätzung des Senats die von der Beigeladenen eingereichte FFH-Verträglichkeitsuntersuchung (FFH-VU), da auch diese nicht aufgrund aktueller und verlässlicher Angaben über das Inventar der Lebensraumtypen und Arten erstellt wurde und die Auswirkungen des Vorhabens somit im Unklaren bleiben. In der FFH-VU wurden als maßgebliche Datengrundlagen neben allgemeinen Datenerfassungsblättern und Berichten (z.B. Standarddatenbogen, Natura-2000-Verordnung, Daten des Onlineportalportals "Ornitho") auch eine „Luftbildauswertung und Ortsbegehung“ angesprochen. Das Gericht konnte der FFH-VU jedoch nicht entnehmen, dass derartige Untersuchungen auch tatsächlich stattgefunden hätten, da sich die Untersuchung ausschließlich auf Datenbestände verschiedener Auskunftsstellen bezieht. In der FFH-VU werde weder deutlich gemacht, wie umfassend die Erfassungen tatsächlich sind, wann sie durchgeführt wurden und ob und gegebenenfalls aufgrund welcher Umstände sie auch heute noch zur Beurteilung des Vorhabens herangezogen werden können. Nach Auffassung des Gerichtes wäre aber eine konkrete Kartierung der im Wirkraum des Vorhabens vorkommenden Vogelarten auch deshalb zwingend erforderlich gewesen, weil nach den Feststellungen in den Fachbeiträgen bereits innerhalb der Fluchtdistanzen oder Störradien von Vogelarten wie Wiesenweihe oder Rohrweihe potentielle Bruthabitate liegen.

Die rechtlichen Anforderungen an die Durchführung der Artenschutzprüfung auf Ebene der Baugenehmigung waren Gegenstand eines Beschwerdeverfahrens vor dem VGH Kassel. Im vorliegenden Fall hatte sich ein Naturschutzverband erfolgreich mit einem Eilantrag gegen eine Baugenehmigung für vorbereitende Baumaßnahmen für ein später zu errichtendes Logistikzentrum gewandt. Der Naturschutzverband sah durch die Erdbauarbeiten Vorkommen des geschützten Feldhamsters sowie ein nur 350 Meter entferntes Vogelschutzgebiet als gefährdet an. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass durch die Baugenehmigung artenschutzrechtliche Vorgaben aus dem Bebauungsplan nicht hinreichend umgesetzt wurden und bestätigte daher den Baustopp für die Baufeldräumung.

Als besonders problematisch sah es der Senat an, dass der Bebauungsplan zwar umfangreiche textlichen Festsetzungen zur Einhaltung des Artenschutzes gemäß § 44 BNatSchG beinhaltet, diese aber im Zuge der Baugenehmigung vollkommen unberücksichtigt blieben (vgl. RdNrn. 34ff). So sieht der Bebauungsplan unter anderem vor, dass Erschließungsarbeiten unter einer Umwelt-Baubegleitung durchzuführen sind, um mögliche Feldhamster-Vorkommen baubegleitend zu überprüfen. Sollte ein solches Vorkommen angezeigt sein, wäre ein Baustopp vorzunehmen, bis die Umsiedlung der Tiere auf geeignete Flächen erfolgt ist. Zugleich dürfen Erschließungsarbeiten (Baufeldräumung) laut Bebauungsplan grundsätzlich nur außerhalb der gesetzlichen Brutzeit, also nur zwischen dem 01.10. und dem 28./29.02. eines Jahres erfolgen.

Die genannten Vorgaben des Bebauungsplanes zum Artenschutz bei der Baufeldräumung aus dem Blickfeld zu nehmen verbiete sich aber nach Auffassung des Gerichtes bereits deshalb, weil dies bei einer rechtmäßig erteilten Teilbaugenehmigung zum Prüfungsumfang gehört hätte. Die genehmigte Baufeldräumung schafft hingegen Fakten, was die Beseitigung der Vegetation und des vorhandenen Bodens betrifft. Sollten Hinweise auf das Vorkommen des Feldhamsters existieren, würden diese durch die Baumaßnahme beseitigt. Abschließend stellt das Gericht hierzu fest, dass die erteilte Genehmigung „[…] die von dem Vorhaben ausgehenden Konflikte für Umwelt und Natur aus[blendet] und im Falle der Bestandskraft die Anforderungen an das spätere Baugenehmigungsverfahren [reduziert] […], in dessen Rahmen sich dann die Frage der Baufeldräumung nicht mehr stellen wird.“

Im Zusammenhang mit einem planfestgestellten Straßenbauvorhaben hat sich das OVG Magdeburg mit den Anforderungen an die Umsetzung von Maßnahmenkonzepten mit vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen gemäß § 44 Absatz 5 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) beschäftigt. In dem konkreten Fall sieht der Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 2013 die Herrichtung und Pflege einer Grünlandfläche für die Ansiedlung von Zauneidechsen sowie eine Umsiedlung der von dem Straßenbauvorhaben betroffenen Zauneidechsenpopulation vor. Der Beschluss enthält die artenschutzrechtliche Nebenbestimmung, dass zum Schutz der Zauneidechsen entsprechende Maßnahmen des landschaftspflegerischen Begleitplans (LBP) umzusetzen sind.

Unter anderem sollten für die Umsiedlung der Zauneidechsen auf der Fläche eines Ersatzhabitats verschiedene Biotopelemente in geeigneter Lage angelegt werden („je fünf Totholzhaufen (2,0 m x 2,0 m), Sand- und Kieshaufen sowie Felsblöcke (1,5 m x 1,5 m) und Stellen mit offenem Boden, der gut grabbar sein muss (2,0 m x 2,0 m)“). Tatsächlich hatte die Straßenbauverwaltung jedoch nur eine einzige „Großrequisite“ angelegt, die den Vorgaben des LBP nur teilweise entspricht. Das Gericht kam in dem Verfahren daher zu der Erkenntnis, dass die Ersatzfläche in ihrem Zustand nicht den Festlegungen im betreffenden Maßnahmenblatt des LBP entspräche. Insofern sei das Ersatzhabitat „[…] - objektiv - nicht auf die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang mit der Vorhabenfläche gerichtet“ (vgl. RdNr. 30).

Dem ließ sich seitens der Straßenbauverwaltung auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, der derzeitige Zustand der Ersatzfläche entspreche zumindest „funktionell“ den Bestimmungen des Planfeststellungsbeschlusses, weil der jetzige Zustand zwar nicht exakt dem Maßnahmenkatalog des LBP entspreche, die Abweichungen von diesem Plan aber nur unwesentlich seien. Ebenso wenig ließ sich das Gericht von dem Hinweis überzeugen, die Obere Naturschutzbehörde habe nach einer gemeinsamen Ortsbegehung bestätigt, dass die Einrichtung der „Großrequisite“ für die Wirksamkeit der Ersatzmaßnahme ausreiche, unter anderem weil erste Zauneidechsen diese Requisite bereits besiedelt hätten. Vielmehr hielt das Gericht die Abweichungen vom Maßnahmenblatt des LBP für so wesentlich, dass die Anforderungen des Plans nicht als erfüllt anzusehen waren.

Angesichts der sehr grundsätzlichen Erkenntnisse des OVG Magdeburg zu den Anforderungen an die Konzeption von vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen hat das Gericht seine maßgeblichen Entscheidungsgründe in den folgenden drei Leitsätzen zusammengefasst:

  1. Ob eine erforderliche Maßnahme im Sinne von § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BNatSchG auf die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet ist, richtet sich nach einem objektiven Maßstab.
  2. Erfolgt die erforderliche Maßnahme auf der Grundlage eines (bestandskräftigen) Planfeststellungsbeschlusses, in dem vorgesehen ist, dass eine vorgezogene Ausgleichsmaßnahme […] zu erfolgen hat […], bildet die entsprechende Regelung im Planfeststellungsbeschluss den Maßstab. Ist die vorgezogene Ausgleichsmaßnahme in einem landschaftspflegerischen Begleitplan enthalten, ist die darin dargestellte Maßnahme zugrunde zu legen.
  3. Da Fachplan und landschaftspflegerischer Begleitplan rechtlich eine Einheit bilden […], erfordert eine von den Festlegungen im landschaftspflegerischen Begleitplan abweichende Durchführung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen eine Planänderung […].

Das OVG Münster hat im Zusammenhang mit einer Straßenplanung im Siegerland (Neubau B 508/Ortsumgehung Kreuztal) erneut das nordrhein-westfälische Fachkonzept der „planungsrelevante Arten“ bestätigt. In dem Verfahren hatte sich ein Reit- und Fahrverein erfolgreich gegen die Inanspruchnahme seiner Flächen für naturschutzrechtliche Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gewehrt, da das Ausgleichskonzept nicht den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes entsprach. Das Gericht folgte in seiner Entscheidung allerdings nicht der seitens der Kläger vorgetragenen Kritik zu den planungsrelevanten Vogelarten (vgl. RdNrn. 179 ff).

Das OVG stützt sich bei seiner Argumentation unter anderem auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG), das seinerseits das Konzept der „planungsrelevanten Arten“ seit vielen Jahren schon durchgehend bestätigt (u.a. BVerwG, Beschlüsse vom 08.03.2018, 9 B 25.17 und vom 28.11.2013, 9 B 14.13). Der Begriff „planungsrelevante Arten“ ist in Nordrhein-Westfalen durch die Verwaltungsvorschrift „VV-Artenschutz“ vorgegeben (aktuelle Fassung vom 06.06.2016). Nach der VV-Artenschutz sind planungsrelevante Arten eine naturschutzfachlich begründete Auswahl derjenigen geschützten Arten, die bei einer Artenschutzprüfung im Sinne einer Art-für-Art-Betrachtung einzeln zu bearbeiten sind. Bei den nicht planungsrelevanten Arten kann im Regelfall davon ausgegangen werden, dass nicht gegen die Verbote des § 44 Absatz 1 BNatSchG verstoßen wird. Zu den nicht planungsrelevanten Arten zählen entweder unstete Vorkommen, wie in Nordrhein-Westfalen ausgestorbene Arten, Irrgäste sowie sporadische Zuwanderer oder Allerweltsarten mit einem landesweit günstigen Erhaltungszustand und einer großen Anpassungsfähigkeit. Die nicht planungsrelevanten Arten sind nach der VV-Artenschutz im Rahmen des Planungs- oder Zulassungsverfahrens aber durchaus zu berücksichtigen. Das Nichtvorliegen der Verbotstatbestände ist für diese Arten in geeigneter Weise zu dokumentieren; im Ausnahmefall sind die Verbotstatbestände auch bei diesen Arten zu prüfen, etwa bei Arten, die gemäß der Roten Liste im entsprechenden Naturraum bedroht sind, oder bei bedeutenden lokalen Populationen mit nennenswerten Beständen im Bereich des Plans beziehungsweise Vorhabens.

Das OVG Münster betont in diesem Zusammenhang, dass es sich bei der Unterscheidung zwischen den generell planungsrelevanten und den sonstigen Arten um eine naturschutzfachliche Bewertungsfrage handelt, bei welcher der Behörde ein Beurteilungsspielraum zusteht, der nur begrenzt gerichtlich überprüfbar ist. Das zeigt sich, so das Gericht, auch daran, dass das nordrhein-westfälische Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) die für Nordrhein-Westfalen planungsrelevanten Arten nach einheitlichen naturschutzfachlichen Kriterien bestimmt. Nach solchen Kriterien richtet sich auch, ob und inwieweit auf eine raumbezogene Bestandsaufnahme und eine raumbezogene Prüfung der artenschutzrechtlichen Verbote für die nicht generell planungsrelevanten Brutvogelarten verzichtet werden darf und die raumbezogene Prüfung etwa durch eine Gildenbildung ersetzt werden kann.

Technische Überwachungs- und Abschaltsysteme an Windenergieanlagen haben das Potenzial, signifikant erhöhte Tötungsrisiken von windenergiesensiblen Vogelarten zu senken und das Eintreten des artenschutzrechtlichen Verbotstatbestandes zu verhindern. Für die Anwendung in der Praxis ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen diese Systeme als fachlich geeignet und mit – ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit – als wirksam gelten können. Bisher gibt es zwar ein Anforderungsprofil, wie Erprobungen nach fachwissenschaftlichen Maßstäben durchzuführen sind. Es fehlen jedoch Maßstäbe, wie die Erprobungsergebnisse zu beurteilen sind. Im Vorfeld einer möglichen fachlichen Anerkennung von Antikollisionssystemen (AKS) in den Leitfäden der Bundesländer zu Windenergie und Artenschutz sollte ein FuE-Vorhaben des BfN diesbezüglich Mindestanforderungen benennen und Fragen einer potenziellen Anwendung in Genehmigungen klären.

Das FuE-Vorhaben war als Workshop-Reihe konzipiert. In mehreren Terminen befasste sich ein Kreis von Fachexpertinnen und Fachexperten aus Wissenschaft und Praxis mit den für eine Anerkennung relevanten Parametern und Anforderungsschwellen. Im Rahmen des Projektes konnten zahlreiche Fragen rund um die Funktionsweise und Leistungsfähigkeit, die Anwendungsbedingungen und den Untersuchungsbedarf am Standort zum Nachweis der Vermeidungswirksamkeit von AKS geklärt oder zumindest in Bezug auf ihre Relevanz für Praxisanwendung von AKS besser eingeordnet werden. Das FuE-Vorhaben hat aber auch gezeigt, dass der Formulierung von Mindestanforderungen oder Schwellenwerten für die Vermeidungswirksamkeit von AKS Grenzen gesetzt sind. Es gibt allenfalls erste Erprobungsergebnisse mit Angaben zur Erfassungs- und Erkennungsraten bei bestimmten Reichweiten, an denen man sich orientieren kann. Außerdem mangelt es weiterhin an konkreten Maßstäben für die Signifikanzprüfung und -bewertung und somit an Bezugspunkten für die Ableitung von Anforderungen für die Vermeidungswirksamkeit. Kriterien und Maßstäbe für die Signifikanzprüfung sollen – unter Berücksichtigung der Maßnahmenwirksamkeit – präzisiert und weiterentwickelt werden (vgl. hierzu UMK-Prozess zur Standardisierung der Vereinbarkeit der Windenergienutzung mit dem Artenschutz, siehe Themendienst 05.2021).